Judas Iscarioth war Anfangs ein stiller, aber ein subtiler Dieb, mit der Zeit aber ist er ein Haupt-Dieb worden.

Nachdem Judas Iscarioth von Christo dem Herrn als Pagator und Zahlmeister der apostolischen Kassa, wie auch Procurator des heiligen Collegii erwählt worden, hat er sich Anfangs gar wohl und ruhmwürdig verhalten, mit jedermann bescheiden und bescheid umgangen, beinebens als ein exemplarischer Mann mit gutem Exempel bei den Leuten eine große Auferbaulichkeit verursachet; weßwegen er in solches Ansehen kommen, daß die jüdischen Knaben und hebräischen Mägdlein auf der Gasse allerseits zu ihm geloffen, ihm Hand und Rock küßt und für einen hl. Mann gehalten. Ja wenn forchtsame Leut' bisweilen etwas wollten von Christo dem Herrn auswirken, so nahmen sie ihre Zuflucht bei dem Juda, bittend, er wolle doch mit seiner Vermögenheit sie bei dem Herrn recommandiren. Es ist aber eine kleine Zeit angestanden, so ist aus diesem Gras ein Heu worden, so ist dieser Baum wurmstichig worden, so ist dieser Bach trüb worden, so ist Judas ein Dieb worden etc. Aber anfangs ein kleiner, subtiler, forchtsamer, scrupuloser[5] Dieb; dann er erstlich nur einen Groschen gemaust, was wollt' das seyn! nachmalens zwei Groschen gefischt, das ist ein Bagatell! nach und nach drei Groschen gezogen, das gehet hin! mit der Weil vier Groschen ertappet, folgends mehr und mehr, bis er endlich allemal von zehen Gulden einen gestohlen, von hundert Gulden zehen entfremdet, auf die Letzt gar um das Geld Jesum das höchste Gut verkauft! – Wer also kleine Mängel nit achtet, der wird bald in große Laster fallen.

Ich weiß eine Sau, die hat keine Augen, keinen Rüßel, keinen Kopf, keinen Fuß, und ist doch eine Sau, das ist wunderlich! ich weiß eine Sau, die hat keine Haut, keine Borsten, kein Fleisch, keinen Speck; ist doch eine Sau, das ist seltsam! Ich weiß eine Sau, die lebt nit und frißt doch mehr, als eine ganze Heerde Säu, das ist artig! Ganges ist ein vornehmer Fluß in India, Partolus ein vornehmer Fluß in Lydia, Jordanus ein vornehmer Fluß in Palästina, Nilus ein vornehmer Fluß in Aegypten, Coaspes ein vornehmer Fluß in Persien, Euphrates ein vornehmer Fluß in Armenia, Mosel ein vornehmer Fluß in Niederland, Donau ein vornehmer Fluß in Deutschland, Moldau ein vornehmer Fluß in Böheim, Savus auf deutsch die Sau, ein vornehmer Fluß in Sclavonien. Diese Sau hat kein Maul, lebt nit, und frißt doch viel: da beißt sie ein Stuck Acker hinweg, dort eine Reihe Wiesen, anderwärts eine große Gstädte, an einem andern Ort ein halbes Dorf, unterhalb eine ganze Au! Ei, du grobe Sau! Wo diese Sau entspringt, ist sie so klein, daß ein[6] jähriges Kind darinn ohne Forcht eines Schiffbruchs tändlen kann und scherzen, wie in einem Badwandel, etlich Spannen breit, ein halbe Spann tief; und dannoch – wann sie eine Weile rinnt und lauft, wird aus einem so kleinen Wässerl ein so großer Fluß, aus einer kleinen Sau mit der Weile eine großmächtige Sau!

Die Menschen, und forderist die lasterhaften Menschen seynd mehrestentheil gesittet und gesinnt, wie dieser Fluß Savus, die Sau. Keiner – ist gewiß – keiner – glaub du mir – keiner – du wirst es nit läugnen – keiner wird auf einmal eine grobe Sau, eine unzüchtige Sau, ein wilder Saumagen, sondern er fängt an erstlich von kleinen Fehlern, und so man die kleinen Unvollkommenheiten nicht achtet, so wird man sich mit der Zeit unfehlbar in große und abscheuliche Laster stürzen: »Qui modica spernit, paulatim decidet.« Den Judas um Bericht: Adam auf dem damascenischen Acker aus einer rothen Erde, wie die mehrsten Scribenten davor halten, von den Händen des Allmächtigen erschaffen, war in das Paradies gesetzet worden, als ein König: massen ihm Alles den Gehorsam mußte leisten und unter seiner Botmäßigkeit leben. Ihm Adam hat allweg dieser folgender Titul gebühret: Adamus der erste dieses Namens, mächtigster König des ganzen Erdbodens, durchlauchtigster Erz- Herzog des Paradies, Herzog des damascenischen Gebiets, Graf zu Freudenthal, Herr zu Allegro etc. Adam stund dazumalen in solcher[7] Glückseligkeit, daß, wann er nit Adam heißte, hätte er billig sich Felix, Faustus oder Fortunatus nennen können. Ihm manglete nichts an Reichthum, nichts an der Gesundheit, nichts an der Schönheit, nichts an der Ehr' und Reputation. Er hatte einen ansehnlichen Hofstaat, der ihn nach allem Wunsch bediente. Seine Kammer-Herren waren die vier Elemente, seine Kammer-Diener waren die vier edlen Complexiones, seine Lakeien waren die Löwen, Tieger, Hirsche etc., so alle ihm aufs Beste aufgewartet; seine Hof-Musikanten waren die Vögel der Luft: der Rab war sein Bassist, die Amsel war der Tenorist, der Fink war der Altist, die Nachtigal war der Discantist, der Gimpel spielte auf der Viol de Gamba, die Elster auf dem hölzernen Gelächter, der Baumhäckel auf dem Hackbrettel etc.; seine Licht-Kammer war die Sonn, sein Hof-Tapezier war der mit Blumen gestickte, gespickte Erdboden. Ueber alles dieses hat ihn Gott mit einer solchen Prinzessinn verheirathet, welche da nit schöner konnte mit dem Pinsel des Apelles entworfen werden, nicht anderst, als wär' sie von der Schönheit selbst, als einer Mutter geboren, nicht anderst, als wär' sie von der Holdseligkeit selbst als einer Amme gesäuget worden, nicht anderst,[8] als wär sie von der Freundlichkeit selbst als einer Kindswärterinn erzogen worden. Er und sie, sie und er, beede stunden in größter Glückseligkeit. – Aber gedenke! diese zwei glückseligen Kreaturen seynd bald hernach ins größte Elend gerathen, aus dem Paradies verbandisirt worden, und ihnen anstatt des Scepters nachmalen der Krampen eingehändigt worden: das ist ein Unstern! wie ist es hergangen? also und nicht anderst: Sie haben von kleinen Fehlern angefangen, nachmals also spöttlich gefallen. Die Eva hat vorwitziger Weis' zum Paradies hinaus geschaut, das war ein kleiner Fehler; die Eva hat ein unnütz Gespräch gehabt mit der Schlange, mehr eine kleine Unvollkommenheit; die Eva hat den Apfel abgebrochen, wieder eine kleine Sünd; der Adam hat ihr derentwegen keinen Verweis geben: es war auch das nit Recht; endlich seynd alle beede so spöttlich gefallen in das größte Verderben, um weilen sie kleine Mängel nit geacht. – Wer keine Funken nit achtet, der hat zu förchten eine große Brunst; wer die kleinen Dachtropfen nit achtet, der hat mit der Zeit zu förchten den Untergang des Hauses; wer ein kleines Löchel nit achtet in dem Schiff, der hat zu förchten, daß er nach und nach das Schiff versenke; der ein kleines Sandkörnlein nit achtet in einem Pulver-Stampf, der hat zu förchten, auf daß nit Alles in dem Rauch aufgehe: wer auch die kleinen Mängel[9] nit achtet, der hat zu förchten, daß er nicht bald in große Laster falle. Dann vom kleinen fängt man an.

Des egyptischen Joseph seine Brüder seynd alle von dem Haushalter für Aufraumer, für Bankfischer, fär Tischleerer, für Dieb' gehalten worden; als hätten sie Ihro Hochfürstlichen Gnaden dem Joseph einen Becher entfremdet: Quem furati esti. Aber, aber, aber – es ist dem Ruben Unrecht geschehen; der Simeon war kein Dieb; der Levi war ein redlicher Kerl; dem Juda geschieht hierinfalls eine Injuri; der Nephtali hat solche Schmach wohl zu empfinden; der Isaschar hat sein Lebtag nit also krumme Finger gemacht; der Gad gibt keinen Mauser ab; der Dan, ob er schon nit der beste ist, so ist er doch dießfalls unschuldig; der Zabulon thät sich schämen, wenn er einmal nur einer Nadelgroß hätte gestohlen; der Aser eben deßgleichen; von dem ehrlichen und wohlerzognen Benjamin ist gar klein Argwohn zu schöpfen. O mein lieber alter Tätl Jacob, so soll es dir in deinem väterlichen Herzen also Wehe thun, wann du hören sollst, daß man deine Söhne Dieb nennet! Pfuy! Dieb? Herr Haushalter, gemach mit der Braut, halt das Maul! was meint ihr, soll der fromme Vater Jacob lauter Dieb an seinen Kindern erzogen haben? das nit, das gar nit, nichts weniger als dieß!

Aber leider! wie viel werden Eltern angetroffen, welche an ihren Kindern die Schand' erleben, da sie solche am hell-lichten Galgen sehen hängen? Es seynd[10] aber Vater und Mutter selbst die eigentliche Ursach des Untergangs ihrer Kinder; dann hätten sie solche bei Zeiten mit scharfer Ruthe gezüchtiget, wie sie die kleinen Ding' geklaubt haben, so würden nie solche Haupt-Dieb daraus erwachsen seyn. Vom Kleinen fängt man an: Qui modica spernit, paulatim decidet!

In einer vornehmen Stadt hat sich einst ein Haupt-Dieb aufgehalten, welcher unterschiedliche Diebstähl' durch seine Arglist begangen. Unter anderen ist Folgendes sehr denkwürdig gewesen: Er begab sich in bemeld'ter Stadt zu einem sehr reichen und wohlbegüterten Kaufmann, von dem er die gewisse Nachricht eingebracht, daß er innerhalb zwei Tagen werde auf einen vornehmen Jahrmarkt verreisen. Bittet demnach denselbigen Handelsmann, er wolle doch sammt seinen Waaren ihm auch eine Truhe mitnehmen, worin sehr kostbare Sachen; verspricht nit nur allein alle Reis'- und Führ-Unkosten abzustatten, sondern noch darzu eine beliebige Gratifikation zuzusetzen, sobald er in fünf oder sechs Tagen auch dahin werde abreisen. Der gute und ehrliche Kaufmann wollt ihm diese Bitt' nit abschlagen, zeigt sich in allweg ganz willfährig, mit dem Verlaut, er wolle die Truhen nur lassen herbeibringen. Das war nun dem Erz-Schalk eine gewünschte Sach': welcher sich dann bald durch ihrer Zwei gleichen Gelichters hat lassen einsperren in ein große Truhe oder Verschlag, und folgends in das Gewölb gedachten Handelsmanns tragen[11] lassen, welcher des guten Glaubens war, als seyen hierin vornehme Waaren verschlossen. Indem nun die finstere Nacht herbeikommen, und das Handels-Gewölb allerseits versperret und verrieglet war, da sucht dieser Haupt-Dieb, wie er möcht' aus diesem hölzernen Arrest heraus kommen, und den Kaufladen ausraumen. Weilen er aber, nach Gewohnheit der Handelsmänner, alle Racht pflegte einen wachsamen Hund in das Gewölb zu sperren, und solcher das Geräusch in dieser Truhe vermerkt, hat er mit ungestümmem Beißen und Bellen den Dieb verrathen. Wie dann bereits derenthalben Alle im Haus' erwacht und unverweilt in das Gewölb herunter gestiegen, da sie mit Verwunderung den Augenschein eingenommen, wie ungewöhnlich und gleichsam ganz rasend der Hund gegen diese fremde Truhen sich verhalte. Indem nun solches der Anwesenden Gedanken zu unterschiedlichen Argwohn veranlasset, hat der verschmitzte Bösewicht in dieser seiner Noth die Arglist erdenket: ganz in der Stille zwei Schlüsseln aus dem Sack gezogen, und dieselben zwölfmal auf einander geschlagen, welches allen Gegenwärtigen den gefaßten Argwohn benommen, forderist, weilen der Handelsmann der gänzlichen Meinung war, als seyen neben anderen Sachen auch kostbare Uhrwerk in dieser Truhen, wie sie dann bereits haben hören 12 schlagen. Damit nun der Hund wegen solcher Uhrwerk nit fernere Ungelegenheit mache, und allen den Uebrigen Schlaf benehme, ist solcher treue Melampus aus dem Gewölb' geschafft worden, welches dem schlimmen Gesellen[12] ein gewünschter Handel war: wie er dann bald hernach aus dieser Truhen heraus geschloffen, und um viel tausend Gulden aus dem Gewölb geraubt. Das war ja ein Haupt-Dieb, der einen besonderen Galgen verdienet. Aber glaubst du, daß er auf einmal ein so großer Dieb worden? O nein! Nemo repentè sit pessimus. Er hat, wie alle andern großen Diebe, mit kleinen Sachen angefangen. Anfangs stiehlt man einen Federkiel, vom Federkiel kommt man zum Federmesserl, vom Federmesserl kommt man zum Federbusch, vom Federbusch kommt man zum Federbett etc. allzeit weiter. Anfangs stiehlt man einen Handschuh, vom Handschuh kommt man zum Handtuch, vom Handtuch kommt man zum Handbeck, vom Handbeck kommt man zum Handpferd etc. allzeit weiter. Gleichwie man pflegt in andern Sachen zu steigen. Z.B. Anfangs ist einer ein Schüler, nachmals ein Student, nachmals ein Baccalaureus, nachmals ein Magister, nachmals ein Licentiat, nachmals ein Doctor. Erstlich ist einer ein Lehr-Jung, alsdann ein Gesell, alsdann ein Meister, alsdann ein Bürger, alsdann ein Rathsherr etc. Erstlich ist einer ein Pikenirer, mit der Weil ein Gefreiter, mit der Zeit ein Fähndrich, mit der Zeit ein Hauptmann, mit der Zeit ein Obrister. Deßgleichen steigt auch der Mensch in den Untugenden. Anfangs ist er ein kleiner Dieb, steht nit[13] lang an, so wird er ein größerer; wart' eine Weile, so wird der größte Dieb daraus! Solchergestalten ist der Mensch, wie einer, der durch einen tiefen Fluß waten will. Erstlich geht er in das Wasser bis auf die Kniee, nachgehends bis auf den Nabel, alsdann bis unter die Arme, mit der Weil gar, bis ihm das Wasser in das Maul rinnet. Auf gleiche Weis' wird sich keiner gleich in die größten Laster stürzen, sondern nach und nach. Erstlich stiehlt er eine Nadel, nach sechs Tagen stiehlt er ein Nähkissen, nach sechs Wochen stiehlt er mehr, nach sechs Monaten wird er ein rechter Dieb, nach sechs Jahren wird er gehenkt. Qui spernit modica, paulatim decidet!

Wie der Herr Jesus von dem Berg Tabor herabgestiegen, allwo er seine himmlische Glorie in etwas entworfen, hat er unter dem häufigen Volk daselbst einen jungen Menschen angetroffen, welcher von Kindheit auf vom bösen Feind besessen war. Dieses armen Tropfen leiblicher Vater war gegenwärtig und klagte mit allen Umständen den müheseligen Zustand seines Sohnes, sagte beinebens, wie tyrannisch dieser höllische Geist den armen Menschen tractire: »Frequenter eum in ignem misit:« ja der Teufel habe ihn schon zum öftern in das Feuer geworfen. Worüber sich Jesus erbarmet, der satanischen Larve ernstlich befohlen, daß sie unverzüglich von dannen weichen solle, wie es dann geschehen. Nit nur einmal einer, nicht nur zehnmal zehne, nicht nur dreißigmal dreißig, nicht nur sechzigmal sechzig, nicht nur hundertmal hundert, nicht nur tausendmal tausend, sondern mehr, viel mehr, wer wills zählen, wer kanns[14] zählen? unzählbar mehr und mehr werden auf dieser verkehrten, bethörten, versehrten Welt gefunden, die eines gleichen Zustands seynd, wie dieser arme Tropf. »Frequenter eum in ignem misit.« O wie viel er und sie, wie viel Pauli und Paulinä, wie viel Franzisci und Franziscä, wie viel Christiani und Chrstinä werden angetroffen, welche alle vom bösen Feind öfters, gar oft ins Feuer geworfen werden! Ist leicht zu erachten, was für ein Feuer: Luxuria oder Lux urens, die Unzucht hat die Welt, die mehresten Länder in der Welt, die mehresten Oerter der Länder in der Welt spöttlich angezünd't. O wie stinkende Flammen, weit über die, so von Sodoma und Gomorrha empor gestiegen! Die Astrologi schreiben wohl, daß die sieben Planeten weit von uns entfernet seyn. Sie schreiben, daß der Mond als ein Planet fünfzehn tausend sieben hundert und fünfzig Meil von uns sey; sie schreiben, daß der Mercurius als ein Planet sieben tausend acht hundert sieben und siebenzig Meil ober dem Mond sey; sie schreiben, daß Venus als ein Planet sieben tausend acht hundert und siebenzig Meil ober dem Mercurio sey. Sie schreiben also, wir aber anderst; nemlich, daß Venus ganz nahe bei uns sey, mitten unter uns. Weßwegen recht der hl. Joannes gesprochen: Mundus in maligno (id est, in malo igno) positus est. Das[15] sehen alle Tag die Augen, das hören alle Tag die Ohren, das redet alle Tag die Zunge, das schreiben alle Tag die Händ', das denkt alle Tag das Herz bei vielen, bei dem Samson nit allein, bei dem Salomon nit allein, bei dem Sichem nit allein, bei dem Ruben nit allein, bei dem Abimelech nit allein, bei dem Ammon nit allein, bei der Rahab nit allein, bei dem David nit allein, sondern auch bei Reginas, Christinas, Sabinas, Marinas, Lidwinas etc., bei viel Fridericos, Rodericos, Ericos, Ludovicos, Emericos, Udalricos etc. Der hl. Philippus Nereus hat allemal die Nase zugehalten, wann er bei einem solchen unzüchtigen Menschen vorbei gangen. Wann er der Zeit noch lebete, so müßte er fast alleweil mit dem Tüchel die Nase verstopfen.

Was kann erschrecklicher seyn, als was Delrio erzählet? In Flandern waren drei Sauf-Brüder, welche mit Schlemmen und Schlimmem die mehreste Zeit vertrieben. Weilen aber Weinbär und Weiber nur einen Buchstaben von einander, und Bachus und Bauchus in bester Verwandtschaft und Bekanntschaft mit der cyprischen Dama; also waren gedachte Gesellen sowohl große Trinker als große Stinker – verstehe unzüchtige Böck' und geile Mistfinken. Ein jeder hatte seine Concubin und unverschämte[16] Fettl, mit welchen sie ohne Gewissen, ohne Forcht, ohne Scheu, ohne Ehr einen solchen üblen Wandel führeten. Einsmals bei erwachsener Nacht, nachdem sie satt und matt des vollbrachten Luders wollten schlafen gehen, sagte einer aus diesen: Nun, Gott sey gedankt, heut haben wir einen guten Muth verbracht! O Gimpel! widersetzet der andere, ich danke derenthalben Gott nit, sondern dem Teufel, welcher mir so stattlich an die Hand gehet. Mit dieser Spott-Red sammt beigeselltem Gelächter werfen sich diese Luder-Bursch in das Bett, und fallen unverweilt in einen tiefen Schlaf, der aber bald genommen worden. Denn gleich hernach durch grausame Gewalt der Teufel in der Gestalt eines Jägers die Thür eingesprengt und mit flammenden Augen in die Kammer hineingetreten, mit Begleitung zweier Kuchel-Jungen: »Allo! sprechend, wo ist derjenige, der mir so schön gedankt? nun bin ich gegenwärtig, mich einzustellen.« – Befiehlt alsobalden denen zweien Kuchel-Jungen, sie sollen diesen Gesellen aus dem warmen Bett heraus reißen, an einen Spieß stecken und braten; welchem Befehl sie schleunigst nachkommen und den armseligen Menschen also gebraten, daß von dem Gestank die Kammer voll, beede Mitgespänn aber mit Forcht also voll, daß sie eine geraume Weil' ohne Sinnen gelegen. Nach vollbrachtem diesem so grausamen Spectacul wendet sich der Satan zu den zween, drohend, dafern ihm von Gott die Gewalt nit wäre gebunden, so[17] wollt er sie auf gleiche Weis' empfangen. Nachdem der helle Tag angebrochen, stunden diese fast in einem Zweifel, ob es ein Traum oder Geschicht gewest, haben aber bald gesehen, daß es von dem gerechten Gott eine gebührende Straf ihres Muthwillens gewesen, indem sie ihren Mit-Kammeraden todt und über und über gebraten in dem Bett gefunden.

Wer läßt sich einfallen, wer macht sich so einfältige Gedanken, als ob dieser auf einmal ein solcher Ludersack worden? O das nit! er hat ungezweifelt vom Kleinen angefangen. Wann ein muthwilliges Kind in einen tiefen Brunnen ein Steinlein wirft, so wird man wahrnehmen, daß solches Steinle auf dem Wasser ein kleines Zirkele macht, dieses kleine Zirkele macht gleich noch ein anders und ein größers, dieses größere macht mehrmalen einen weiten runden Kreis, bis endlich von einem kleinen solchen Zirkel oder Kreis, große, größere, die größten Kreise gemacht werden. Eine fast gleiche Beschaffenheit hat es mit der Sünde: Der Satan befleißt sich, wie er möge den Menschen zu einem kleinen Fehler bringen, wohl wissend, daß ein Fehler dem andern die Schnalle in die Hand gibt. Anfangs ist man unbehutsam in den Augen, wie jener junge Mönch, der mit einem alten etliche Tag ausgereist: unterwegs haben sie ein Weibsbild angetroffen, welche der alte mit freundlichen Worten bewillkommet, und ein kurzes Gespräch mit ihr gepflogen, nachgehends sie wiederum gar höflich beurlaubet. Wie sie nun ihren Weg also fortgenommen,[18] fängt der alte an, sie über alle Massen zu loben und hervor zu streichen die Wohlgestalt und das hübsche Angesicht dieser Frau, hierdurch des Fratris sträflichen Vorwitz heraus zu locken. Sagte also der fromme Vater: O mein lieber Frater, ich habe lange Zeit hero ein so wohlgeschaffenes Weibsbild nit angetroffen; sie hat ja ein Paar Wangen, die da hangen, die da prangen wie die Rosen. Helena aus Griechenland muß sich fast verkriechen vor ihr; ei es ist immer Schad', daß sie einen Mangel in den Augen hat und einäugig ist! Was? sagt der Frater, verzeiht mirs, mein Vater, ihr habt wohl nit recht gesehen, sie ist keineswegs einäugig, sondern sie hat ein Paar Augen, wie Diamanten, ich hab es gar wohl in Acht genommen. So, sprach der Alte, so, mein junger Lector! sollst du so unbehutsam seyn in den Augen? Weißt du das nit, daß die Angen die ersten Kurrier' und Furier' seynd zum Sündigen, und dem menschlichen Willen den gebahnten Weg zeigen zu allen Lastern? »Est oculus scopulus titulo meliore vocandus.« Den David hat das vidit zum fecit gemacht; den David hat das Sehen zum Geschehen zogen; dem David hat das Gaffen viel Uebel beschaffen. Vom Sehen kommt man zum Denken, vom Denken kommt man zum Gefallen, vom[19] Gefallen kommt man zum Wollen, vom Wöllen kommt man in die Höllen. Ich bin versichert, daß jene saubere Dama des Herrn Putiphars, königlichen Ministers Frau Gemahlinn nicht gleich das erstemal den keuschen Joseph mit dem dormi mecum wird angetastet haben, sondern sie hat ungezweiflet vorhero seine schöne Gestalt betracht, sich in seine rothe Lippen vergafft, seine weißen Händ' beschnarcht, und also von einem zum andern gestiegen, bis sie letzlich gottlos, gewissenlos beschlossen, ihren Mann unter das Zeichen des Widders zu stellen.

Wann der Himmel voll mit Stern, so ist es ihm ein Lob; wann aber der Himmel sternvoll ist, so ist es eine Schand' und ein Schad: wer weiß, ob nit das Wörtlein Dolor die Lateiner vom Dolio deriviren, massen von dem Wein oft manches Weinen und Klagen entspringet. Holofernes hätte nie den Kopf verloren, wann ihm nit der Kopf vom Wein wäre um und um gangen. Heli der Hohepriester hat einst der gottseligen Annä, des Elcanä Frau Gemahlinn eine große Unbild zugefüget, indem er ihr vorgerupfet, sie sey eine Bürgerinn zu Kandelberg, und habe zu stark das Oktober-Bier eingenommen: da sie doch, die fromme Frau, ihr Lebtag kein Wein verkostet. Aber in unsern Zeiten trifft man wohl solche Weinfalter an mit langen Röcken,[20] die vom Trinken Bibianae, oder vom Saufen Potamianae könnten genennet werden. Mir ist von einer gar gewiß erzählet worden, welche auf einer Kirchfahrt unterwegs das Maul mit dem Wein gar zu stark ausgeschwemmet, daß ihr also der Tummel in Kopf und der Tremulant in die Füß kommen. Wie sie nun in eine, unweit des Wegs erbaute St. Annä Kirch eingetreten und in Mitte derselben bei dem Opfer-Stock sich niedergelassen, hat ihr der Schwindel je länger je mehr das Hirn eingenommen, also, daß sie vermeint, der Altar gehe um und um, wessenthalben sie in diese ja lächerliche Wort ausgebrochen: »O meine hl. Anna! ich bins ja nit werth, ich bins ja nit würdig, es ist ja gar zu viel: ich hab' vermeint, ich wollt um dich herum gehen, so sehe ich aber, du gehest um mich herum!« Lasse mir diese eine saubere Frau seyn! Aber die Männer werden hierinfalls mehr beschuldiget! weßwegen der Grammatist wohl konnte dem Poeten sein Carmen verändern und also setzen: Quae maribus solum tribuuntur vascula sunto. Es ist sich nit wenig zu verwundern, wie Christus der Herr so viel tausend Menschen gespeiset hat wunderbarlicher Weis' in der[21] Wüste, und nicht nur allein alle nach Contento gesättiget, sondern so gar zwölf Körb' voll Brod geübriget. Zu verwundern ist, daß nit einer aus dieser volkreichen Versammlung hat auch einen Trunk begehret. Wann wären Deutsche dabei gewest, ist wohl zu glauben, daß einer oder der andere hätte um einen Trunk Wein supplicirt; massen dieser Nation ihr übler Nachklang ist, daß sie zu viel dem Wein ergeben, als sollt' ihr Leben durch die Reben – vita per – vitem erhalten werden. Dergleichen Weinschläuch' könnten fast ohne Ziel und ohne Zahl beigebracht werden: Einer, vor dießmal ein Romaner, kommt mir unter die Händ', von dem Gumpenbergerus schreibt, welcher ein solcher unmäßiger Weinegl war, daß er mit dem reichen Prasser fast täglich sich berauschte, und zuweilen also bezecht, daß er eine Paßgeige für einen Bettler, eine schwarze Kuh für einen Kapellan, und einen Polster für eine Gans angesehen. Nachdem einmal den ganzen Nachmittag diese Sau beim weißen Lämml gesessen und sich also angetrunken, daß er in dem Heimgehen hin und her gestolpert, als wollt er mit den Füßen hebräisch schreiben, ist er endlich in eine große Kothlache gefallen, wie dann für einen solchen Kopf keine andere Lauge gebühret. Als nun dieser Kothkäfer in seinem unfläthigen Saubad also zappelte, so ist der Teufel in der Gestalt eines Weibes zu ihm kommen mit einer Latern – denn es bereits die tiefe Nacht war – und[22] nachdem sie ihn mit langen Worten, mit hartem Verweis, mit zornigem Mundstück angeblasen, hat sie den wilden und im Koth gebeziten Lümmel aufgehebt, nach Haus zu führen. Wie sie nun einen geraumen Weg fortgangen, so vermerkt dieser Schlemmer, daß er auf einem hohen Berg sey, und sehe vor seiner eine große Menge der bösen Feind, welche allesammt gleichstimmend geschrieen: Bring um, bring um! Solcher Schrecken hat alsobald den dicken Rausch vertrieben, also, daß er mit lauter Stimm' geschrieen: Sancta Maria in viâ latâ, stehe mir bei! Sobald er die Hilf der Himmels-Königinn flehentlich angerufen, seynd alle höllischen Larven verschwunden. Nachmals hat er wahrgenommen, daß nicht sein Weib, sondern der Satan ihn an selbiges Ort geführet, von welchem er ungezweiflet durch teuflische Gewalt wäre gestürzet worden. – Glaubst du anjetzo, daß dieser Weinzapf auf einmal ein solcher Sau-Magen worden? Das nicht, sondern er hat vom Kleinen angefangen: erstlich nur allemal ein Gläsel ausgetrunken, vom Gläsel ist er zum Glas, vom Glas zum Krug, vom Krug zur Kandel, und also kommen zu einem solchen versoffenen Wandel; erstlich lernen trinken Utiliter, darnach Realiter, alsdann Mirabiliter, folgends Faciliter, mit der Weil Solenniter, auf die letzt Lamentabiliter. Mit drei Jahren hat er geschrieen:[23] Mamma trinken! mit vier Jahren hat er geschrieen: Mutter trinken! mit fünf Jahren hat geschrieen: Vater saufen! im sechsten Jahr hat er seinen Vater schon ins Wirthshaus begleitet; im sechszehnten Jahr ist er gangen am Sonntag zum meißen Rößl, am Montag zum blauen Kessel, am Erchtag zum guldenen Lämmel, am Mittwoch zum grünen Gämpl, am Pfingstag zur guldenen Sonn, am Freitag zum wilden Mann, am Samstag bei der grünen Linden: läßt sich also beim Saufen eine ganze Woche finden. »Qui modica spernit, paulatim decidet: nach und nach lernet man die Untugenden!«

Lucas schreibt von einem Weib, welche zehen Groschen hatte: nachdem sie aber einen aus diesen verloren, so zündet sie ein Licht an, kehrt das ganze Haus aus, sucht unten, sucht oben, sucht da, sucht dorten, sucht vorn, sucht hinten, sucht in der Mitte, sucht aus und aus, sucht ein und ein, sucht um und um, bis sie ihn findet, und wann sie ihn endlich gefunden, so erfreuet sie sich von Herzen etc. Das ist ein gutes, stattliches, häusliches Weib, welche also auf einen Groschen gehet! dergleichen gute Hauswirthinnen findet man annoch an vielen Orten, welche nicht nur allein Acht haben auf einen Groschen, sondern auch auf einen Kreuzer, auf einen Pfenning;[24] unterdessen aber ihre Männer 20, auch 30, auch 40, auch 50 Gulden mit Karten und Würsten verschwenden.

Von dem König Pharao bezeugt sattsam die hl. Schrift, daß er neben seinem Leben auch sehr großen Schatz und Lebens-Mittel im rothen Meer verloren. Eine manche arme Haut, die klagt und hat zu klagen, daß ihr Mann fast alles das Seinige nicht im rothen Meer, wohl aber im rothen Fluß verloren hat; verstehe also, daß er dem Spielen zu sehr ergeben, mit einem andern Spiellumpen Labet gekart', und als zum mehresten gestanden, hat dieser lauter Herz bekommen, das war ein Fluß, und zwar ein rother, worinnen ihr Mann einen ziemlichen Schiffbruch gelitten.

Von dem Absolon ist auch genug weltkundig, daß ein Eichbaum Ursach gewest, daß er um das Leben kommen. Daß der, daß dieser, daß jener, daß viel auch um ihr Leben, absonderlich aber und forderist um ihre Lebens-Mittel kommen, ist nit Ursach der Eichbaum, wohl aber der Eichel-Ober, den man sonst zu mehreren Ehren den Pamphilium nennet. Von Vielen weiß man, daß sie Haus und Hof verspielet, und also weit armseliger worden, als ein Schneck, den gleichwohl die Natur mit eigner Behausung versieht.

Der Samson hat mit einem dürren Bein, benanntlich mit einem Esels-Kinnbacken, denen Philistern den größten Schaden zugefügt. Ein mancher reicher Herr ist arm worden, ein mancher reicher Kaufmann ist nothleidig worden, ein mancher reicher Bürger ist ein Bettler worden, daß also der erste, der andere, der dritte[25] nichts anders sagt, als: jetzt bin ich geschlagen, ich bin geschlagen, ich bin geschlagen! Ja, ja, ja, du bist geschlagen, ihr seyd geschlagen, und zwar wie die Philister durch den Samson mit einem dürren Bein, also ihr durch ein dürres, aber vierecketes Bein, verstehe die Würfel. Das Bein des Samson hat Wasser gebracht, das Bein bei den Würflen bringt auch Wasser; aber leider! aus den Augen der Weiber, der Kinder rinnen die Zäher, um weilen die Beiner ihnen das Fleisch verspielet.

In der vornehmen Stadt Bononia, welches so viel heißt, als Bona omnia, hat sich ein gottloser Spieler befunden, welcher einmal, um weilen er selbigen Tag lauter widriges Glück im Spielen erfahren, also unsinnig ergrimmt, daß er fast rasend zu der Stadt-Mauer geeilet, worauf die Bildnuß der Mutter Gottes mit gutem Pinsel entworfen war, dieselbe nicht nur allein mit lästerlichen Worten beleidiget, sondern auch mit seinem Dolch etliche Wunden versetzet, aus welchen das häufige Blut herausgequellet. Dieser Bösewicht wurde nachmals zur billigen Straf gezogen und außer der Stadt gegen die Mauer hinüber, wo die Bildnuß war, an den lichten Galgen gehenket. Es ist aber anbei auch dieses denkwürdig geschehen, daß gedachter Galgen-Schwengel wegen des Sonnenscheins den Schatten von seinem Leib geworfen hat auf obbenennte Mauer, dergestalten, daß selber bis auf den heutigen Tag weder durch Schnee, Wind, Wasser, noch einige andere Weis' kann ausgetilgt werden.

Dieser und seines Glifters mehr ist nit auf einmal[26] ein solcher Erz-Spieler worden, sondern hat ebenmäßig von kleinen Dingen angefangen; dann der böse Feind mehrestentheils argumentirt à minori ad majus: der Erz-Schalk wendet die Leut' zu Sünden und Lastern, wie man pflegt bei uns in der Prozession zu gehen; von Anfangs wird man sehen gehen die kleinen Knaben, nach und nach alleweil größer, größer, größer: also bringt der arge Satan den unbehutsamen Menschen anfangs nur zu kleinen Verbrechen, zu läßlichen Fehlern, geringen Unvollkommenheiten; aber nach und nach alleweil größer, bis er ein lasterhafter Tropf wird; und rührt solches Uebel meistens daher, weilen er das Kleine nit geacht. Von Anfang hat man ein Wohlgefallen an der Karten: mittler Weile spielt man um eine Ruß, nachmals um einen Pfenning, alsdann um einen Groschen, nachgehends um einen Gulden, mit der Zeit um das Wammes, letztlich um die Hosen; alsdann stiehlt er, und kommt zum Profosen. Vom Kleinen kommt man zu dem Großen!

Was hat das ganze Engelland zu einem Teufel-Land gemacht? Anfangs ein einiger vorwitziger Anblick Henrici auf Annam Bolenam. Was hat das Schweizerland von dem Haus Oesterreich abgesondert? Anfangs fünf Wörter, mehr nit. Was hat die mahometische Sect[27] und ottomanische Gwalt nach Europa gebracht? Drei Wörter, mehr nicht, indem man die Saracener Hund genennet hat. – Des Königs Pharaon sein Mundbäck ist wegen eines kleinen Steinleins auf den Galgen kommen. Ist Schad'! wanns gleichwohl ein Müller wäre gewest – ein Steinlein ist ja ein kleines Wesen. Der Poet Anacreon ist an einem kleinen Weinkörn'l erstickt. Ist ja eine kleine Sach' ein Weinkörn'l! Henricus II. König in Frankreich ist an einem kleinen Splitter Holz gestorben, so ihm in das Aug' kommen. Ein Splitter ist ja ein kleines Ding. Viel, o wie viel, o nur gar zu viel seynd Erz-Dieb worden, die Anfangs nur einen Pfenning entfremdet. Ein Pfenning ist ja eine kleine Sach'! Nit wenig, gar nit wenig seynd die größten Huestentreiber worden, die erstlich nur fürwitzig in Augen gewest. Fürwitz ist ja eine kleine Sach'! Manche, freilich wohl manche seynd die größten Lügner und eidbrüchige Gesellen worden, welche Anfangs nur ein wenig gespickt. Spicken ist ja ein kleines Wesen! Und dannoch aus diesem kleinen Funken entspringt eine solche Brunst, aus diesem Blätterle wird ein solches Geschwür, aus diesem Kern wird ein solcher Baum, aus diesem Kind wird ein solcher Riese, aus dieser kleinen Sünd entspringen solche große Laster.

Kein solches Klagen, kein solches Plagen, kein solches Zwagen hat vom Anbeginn der Welt bis auf diese Zeiten ausgestanden ein König, als wie der Pharao, dieser ägyptische Monarch, von dem Mose; welcher große Mann Gottes durch seine Wunder-Ruthe –[28] von dero noch ein Theil in der Kirche St. Severini zu Kölln am Rhein aufbehalten wird – diesem hartnäckigen Fürsten zehen große Plagen auf den Rücken gebunden. Moses macht, daß alles Wasser in Egypten in lauteres Blut verkehrt worden, damit Pharao auch solle schamroth werden, um weilen er den wahren Gott nit erkennet; Moses macht, daß eine solche Menge Frösch' im ganzen Reich entstanden, daß auch die grünen Quackitzer auf allen Tafeln herum hupften, und so man nur eine Schüssel abgedecket, war alsobalden ein solcher verdrießlicher Lachendrescher darinnen; Moses macht, daß so viel große, kleine, dicke, dünne, lange, kurze, braune, grüne, weiße, schwarze Mucken im ganzen Land entstanden, daß hiervon die Leut' schier unsinnig worden – und hat der König selbst manchen Stich auf die Nasen von solchen kleinen Feinden leiden müssen; Moses macht, daß eine solche dicke Finsterniß in Egypten worden, daß einer den andern nit gesehen, der auch neben seiner gestanden – der gute Mann glaubte, Pharao soll durch diese Finsterniß erleuchtet werden; – Moses macht, daß noch viel andere große, ja größte Plagen über den Pharao kommen. Wessenthalben der König oft hinter den – Ohren gekratzt, oft von inniglichem Herzen geseufzet, oft vor andern seinen Hof-Herren und Hof-Beamten geklagt: ach, was hab' ich gethan! wie bin ich doch so unbesonnen gewest! dem Uebel hätt' ich gar wohl können vorkommen, hatte ich dazumalen dem Mosi den Hals umgerieben, wie er noch als ein kleines Kind auf der Schoß meiner Tochter Thermuth gelegen! ach, hätte ich ihm damalen den Rest geben, wie[29] er als ein Kind mein königliches Diadema von seinem Kopf herunter gerissen! es ist mir doch dazumalen schon vorgangen, der Bub werde einsmal große Unruhe verursachen. Ei! ei! hätte ich Mosen in der Kindfätschen erwürget, so wäre er nit also aufgewachsen, und thät mir folgsam nit eine Plag' über die andere auf den Rücken schicken!

Dieser Wunsch ist bei Mehrern. Seufzet nit mancher arme Tropf, der da Diebstahl halber hinausgeführet wird, und wider seinen Willen muß hoch angesehen seyn? beklagt sich nicht öfter ein solcher bei dem Pater, so ihm das Begleit gibt: o Pater, hätte ich in meiner Jugend die kleinen Diebstähl' unterlassen, so müßte ich anjetzo nit eines so schmählichen Tods sterben! O, hätt ich, sagt eine andere, auf jenes Bürschl nicht die Augen geworfen, hätt ich doch den Schnier-Riem' nicht angenommen, hätte ich nur die Händ nit druckt, so wär' ich in diesen öffentlichen Spott nit gerathen! O, hätt' ich, sagt die hunderte, die Sünd abgewöhnt, wie sie noch klein war, so hätte ich anjetzo nit einen solchen Busen voll der Laster! O hätte ich also! – – Wann man die kleinen Fehler nit austilget, so wachsen sie freilich wohl wie das kleine Senfkörnlein im Evangelio, welches zu einem großes Baum worden, daß auch die Vögel der Luft auf seinen Aesten loschiren; so wachsen sie freilich, wie Moses, der aus einem kleinen armen Pupillen, so in einem Binsen Körblein daher geschwommen, ein solcher[30] Mann worden, daß er den König Pharao sammt den Seinigen in den Untergang gestürzet hat.

Jene Statua oder Wunder-Bildnuß des Königs Nabuchodonosor hatte ein Haupt von Gold, die Brust und Arm' von Silber, den Bauch sammt den Lenden von Erz, die Schenkel von Eisen, die Füß' theils von Eisen, theils von Hafner-Erden; endlich ein kleines Steinl hat diese stattliche Statue zu Boden geworfen und zertrümmert. Dieser Statue seynd gleich unterschiedliche heilige Orden und Religionen in der katholischen Kirche: Haben nit diese allesammt ein guldenes Haupt gehabt, einen guldenen Anfang, der voller Eifer und Vollkommenheit war? aber nach und nach seynd sie schlechter worden, daß also der Prophet Jeremias folgender Gestalt über sie zu klagen hat: Wie ist das Gold verdunklet, und die allerschönste Farb verändert? wie seynd die Stein des Heiligthums zerstreuet, und liegen auf den Ecken aller Gassen! die edelsten Kinder Sion, welche mit dem allerfeinsten Gold bekleidet waren, wie seynd sie nun geacht wie erdene Geschirr, so die Hand des Hafners gemacht hat! Wie viel heilige Orden seynd dergestalten in Untergang kommen, daß sie entweders gar vom päbstlichen Stuhl ausgetilgt oder wenigst reformiret worden! Was war nit für ein heiliger und der Kirche höchst nützlicher Orden der Tempel-Herren, welcher unter dem Pabst Gelasio II. von zweien heiligmäßigen Rittern, Hugo de Paganis und Gaufredo a S. Audomaro gestift worden! Dieser schöne Orden mit dem weißen Kleid[31] und rothen Kreuz hat sich in der ganzen Welt ausgebreitet, auch hat sich der hl. Bernardus glückselig geschätzt, daß sie seine heilige Regel angenommen. Erstgedachter hl. Orden ist viel hundert Jahr' im größten Ruhm gestanden, endlich aber zu Wienn in Frankreich durch das Concilium ausgerottet worden unter dem Pabst Clemens dem Fünften, dergestalten, daß alle dessen Ordens-Genossen in einem Tag, und zwar in einer Stund' seynd umgebracht worden Anno 1311. Der Großmeister dieses Ordens zu Paris in Frankreich wurde auf öffentlichem Scheiter-Haufen verbrennet. Dieser Orden war Anfangs so herrlich und heilig, und ist dannoch mit der Weil in abscheuliche Laster, in lästerliche Abgötterei, in abgötterische Sünden gerathen, – nicht auf einmal, sondern nach und nach: Anfangs hat man kleine Mängel übersehen, diese haben nachmals größere Untugenden ausgebrütet, endlich hat man ohne Scheu und Forcht Gottes gesündiget. Der Teufel baut weit anderst, als die sauberen Adams-Kinder: diese baueten den Thurm Babel Anfangs von der Erd auf sehr dick, nachmals alleweil je höher je kleiner; aber der Fürst der Finsternuß führt sein Gebäu auf Anfangs ganz klein, von kleinen Sünden, nachgehends allezeit größer. Derenthalben gar recht der hl. Evangelist Matthäus schreibt: »Securis ad radicem arboris posita est etc. – die Hacke sey schon an die Wurzel des Baums gesetzt.« – Freilich soll man die Laster ausrotten, da sie noch in der Wurzel seynd, damit[32] sie nit erwachsen. Hätte Judas den Diebstahl eines Groschen gemeidet, so wäre er niemalen ein solcher Erz-Dieb worden.

Quelle:
Abraham a Sancta Clara: Judas der Erzschelm für ehrliche Leutߣ. Sämmtliche Werke, Passau 1834–1836, Band 2, S. 0,33.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Die Mappe meines Urgroßvaters

Die Mappe meines Urgroßvaters

Der Erzähler findet das Tagebuch seines Urgroßvaters, der sich als Arzt im böhmischen Hinterland niedergelassen hatte und nach einem gescheiterten Selbstmordversuch begann, dieses Tagebuch zu schreiben. Stifter arbeitete gut zwei Jahrzehnte an dieser Erzählung, die er sein »Lieblingskind« nannte.

156 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon