Siebenundfünfzigstes Kapitel.

Wandel muß Politik treiben und sentimental sein.

[485] Das Haus der Fürstin schien ein offenes. Man kam und ging, zu jeder Tageszeit; man war willkommen und empfangen, ohne angemeldet zu sein, und konnte verschwinden, ohne daß es bemerkt ward. Englischer Komfort schien mit französischer Anmuth und Leichtigkeit gepaart. Aehnliches hatte man in Berlin noch nicht gesehen; man beredete es, aber gefiel sich darin. Keine Thür war verschlossen, die Wände schienen von Krystall; es ist aber damit nicht gesagt, daß nicht doch manche Thür unter der Tapete versteckt, und der Krystallspiegel eine Wand verdeckte, hinter die zu blicken nicht erlaubt war. Die Fürstin hatte sich neuerdings zu einem längeren Aufenthalt eingerichtet. Alle Welttheile hatten ihre Produkte, Kunstfertigkeit und Erinnerungen beigesteuert, um die Zimmer auszuschmücken. Das Hetrurische und Pompejanische, vor Kurzem die Modepuppe, ward hier paralysirt durch das Chinesische und Hindostanische. Porzellanfigürchen, Pagoden und Pfauenwedel; dazwischen die rein geschnittenen Schönheitslinien eines griechischen Basreliefs, römische Kaiser und Mohrenköpfe auf echten Konsolen, neben Federkronen von den Sandwichsinseln und urweltlichen Gerippen, Schamanenmäntel und Bogen und Köcher der naturwüchsigen Völkerschaften Sibiriens.

Die Ostentation alles dieses Apparates war wenigstens nicht auffällig, ein gewisser Geschmack hatte in der Vertheilung obgewaltet, Licht und Schatten waren gehörig vertheilt, oder vielmehr der Schatten waltete ob, indem das Fensterlicht in den meisten Zimmern durch schwere Vorhänge und Vorsatzstücke gedämpft war. In schwarzen Rahmen hingen zwischen den andern Raritäten Landschaften in Wasserfarben, römische Ruinen, zerstörte Kirchhöfe, Hünengräber, bemooste Krucifixe darstellend, über dem Meer hing der Mond in Nebelwolken, oder die Sonne ging auf, und beleuchtete trauernde Gestalten oder Knieende um ein bekreuztes Grab. Auch sah man näher den Thüren bereits einige der schmal geschnittenen Holzbilder, auf deren Goldgrund jene hagern, kindlichen[485] Figuren mit den Unschuldsköpfen sich präsentirten, die erst später in Berlin zur ästhetischen Anbetung kommen sollten. Die modernen Besucher gingen noch ziemlich theilnahmlos an diesen florentinischen Stücken vorüber, während die Mondscheinskreuze, die verdorrten Kränze an den eingefallenen Gräbern manchen Seufzer oder aus schönen Augen eine Thräne lockten. »Der Stufen zur Erkenntniß sind viele,« pflegte die Fürstin zu sagen, »und deren nur wenige, die, vom Strahl erleuchtet, sogleich die höchste besteigen.«

In den tiefern Kabinetten verbargen sich oder lockten größere Heiligenbilder, betende oder angebetete Madonnen, Märtyrer, in ihren Verzückungen lächelnd, der Heiland am Kreuz. Da in der verschwiegenen Nische auf einem schwarz mit Silber überhangenen Altar ein Krucifix von Ebenholz, der Heiland daran feinste lucchesiner Elfenbeinarbeit. Als Piedestal zum Krucifix diente ein künstlicher dürrer Fels aus Achat, zu Füßen desselben eine kleine Oeffnung, aus der, gespeist von einem verborgenen Wasserreservoir, eine Quelle sprudelte. Das Wasser floß in einen antiken Sarkophag. Antik wenigstens die Vorderseite, deren heidnische Basreliefs freilich wenig mit dem Quell und seiner Bedeutung korrespondirten, aber es war eine Antike, ausgegraben auf einem der Güter der Fürstin in der Krim, und das Heidnische an den Bacchantinnen sollte vielleicht durch den frisch hinein gemeißelten russischen Doppeladler purificirt werden. Neben der sinnigen Deutung hatte der sprudelnde Quell auch eine ganz praktische Bedeutung; das kühle mit Epheu umrankte Kabinet ward durch das springende Wasser zur angenehmen Retirade in heißen Sommertagen.

In einem der helleren Zimmer, mit Magdalenenbildern an der Wand, der Boden ausgelegt mit reichen orientalischen Teppichen, und schwellende Divans an den Wänden, saß die Fürstin mit der Baronin Eitelbach. Die Märtyrer und andere Heiligenbilder in den dunklern Gemächern mochten schlechtere Kopien oder Trödelwaare sein, die Magdalenen waren vortreffliche Kopien nach Correggio, Battoni, Murillo und Anderen, in der Größe der Originale und in dem blendenden Farbenglanz, der keine Nachdunkelung sehen ließ. Kostbare Goldrahmen umschlossen diese Stücke, und ihre Gruppirung war so geschickt, daß überall das richtige Licht darauf fiel. Es war das sorgfältigst und elegantest ausgeschmückte Zimmer der fürstlichen Wohnung.

»Das Fräulein wollten eben ausfahren, um, wie sie sagten, Luft zu schöpfen,« berichtete der Diener. »Wenn aber Durchlauch befehlen, wird sie sich sogleich zurecht machen und hier erscheinen.«

»Was das Fräulein will, muß geschehen,« erwiderte die Fürstin rasch. »Man sollte doch jetzt meinen Willen kennen, daß[486] sie nur ihren Wunsch zu äußern braucht, und meine Domestiken haben zu gehorchen. Ist schon angespannt?« – »Zu Befehl, Erlaucht.« – »Da muß ich einen Augenblick zu dem lieben Kinde. Verzeihung, theuerste Baronin, sie erholt sich so schwer. Ich bin sogleich – meine Gedanken bleiben bei Ihnen.«

Im andern Zimmer begegnete ihr der Legationsrath; »Schnell einen Liebesdienst. Die Eitelbach drinnen quält mich mit ihrem Liebesleid. Das ist Ihre Sache. Machen Sie ihr bald ein Ende, sonst – ich weiß nicht, was ich thäte, wenn Sie nicht im Spiele wären.« – »Empfinden Erlaucht denn gar keinen Beruf, sich der gequälten Schönen anzunehmen?« – »An langweiligen Menschen hatte ich heute schon genug. Vater und Mutter waren hier, denken Sie, eine Stunde lang! Diese Dankadressen im Kanzleistil, diese bürgerlichen Rührungsgefühle in der Sonntagshaube, der ganze Iffland, Kotzebue und Krähwinkel in meinem Hause. Ich möchte doch um solcher Leute willen keine Migräne bekommen; aber jetzt erbarmen sie sich meiner.« – »Tu l'as voulu, George Dandin! sagt Molière,« sprach der Legationsrath, sich verneigend. – »Et je le veux, Monsieur le conseiller!« – »Was denkt Prinz Louis, Erlaucht?« – »Ob der Champagner oder der Rheinstrom eher in die Lethe fließt.« – »Leider flüstern seine Freunde, daß er schon den nächsten Weg auf dem Jamaikanischen Feuerstrom Rum dahin sucht.« – »Der Unglückliche!«

Sie schien die eben gegebene Anweisung an den Legationsrath auf die Eitelbach eben so vergessen zu haben, als sie an der Ecke eines Divans Platz nahm. Ein ernster Zug flog über die Seidenwimpern, die sich geschlossen hatten, wie erschreckt vor einem Bilde. – »Vielleicht der letzte Held unter Diesen! – Warum fand er nicht den rechten Weg! – Das ist es nicht. Aber, Wandel, erklären Sie mir's, es ist etwas Niederdrückendes, Entmuthigendes, daß gerade dieser Einzige in der großen Misere, diese Feuerseele unter den Nachtvögeln, wie ein losgerissener Stern aus dem Firmament in einen Sumpf stürzen muß!« – »Sie sprachen es aus, Gnädigste, weil Alles versumpft ist!« – »Und Sie sprachen etwas aus, was Sie nicht verstehen, nicht verstehen wollten. – Ich fühlte mich so andächtig gestimmt. Der arme Prinz! Seit die Abberufung des englischen Gesandten bekannt ist, soll er sich in einen erschütternden Zustand befinden.« – »Es befinden sich auch andere, die nicht Prinzen sind, in unangenehmer Lage. Mehr als hundert preußische Schiffe sind bereits von den Engländern gekapert. Dem Handel wird dieser theure Frieden theuer zu stehen kommen.« – »Diese Krämerseelen verdienen es,« rief die Fürstin. »Es war ja ihr stiller Wunsch. Wenn Krämer, Kinder und Narren über ein Land regieren, wehe ihm!«[487]

Es war ein neues Changement in der Fürstin eingetreten; sie fühlte sich zum politischen Disput gestimmt. Wandel kannte die Lineamente in ihrem Gesicht, welche den Wechsel und welche Stimmung sie ausdrückten. Er lehnte sich über einen Stuhl, um ihr zu korrespondiren. Vielleicht fand er auch mehr Neigung zu einer politischen Disputation als zu einer sentimentalen mit der Baronin, vielleicht wollte er sich auf diese präpariren.

»Es giebt auch großartige Krämer. Die Engländer werden bei diesem Weltdisput nicht zu kurz kommen.« – »Ich begreife nicht, wie diese hier ohne Schamröthe lesen können, was sie über ihre Politik urtheilen!« rief die Fürstin, in wirklichen Affekt gerathend. »Diese Noten, die Herr von Reden für Hannover in Regensburg, Ompteda eben in Berlin übergab! Herr Fox hat im Parlamente gedonnert. Ich habe eine solche Sprache nie gehört.« – »Noten sind Worte auf Papier geschrieben, Erlaucht. Sie lesen sie, antworten, und das Resultat ist Papier auf Papier! Gekaperte Schiffe, das ist etwas Anderes.«

Die Fürstin hatte vom Tische eine englische Zeitung genommen. »Durchfliegen Sie diesen Artikel. Mich dünkt, die Worte schneiden schärfer wie Thaten. Der Prinz soll grade darüber außer sich gerathen sein. Die Lippen schäumend, drückte er die Stirn an die Scheibe, daß sie zerbrach.« – »Er wird auch wieder ruhig werden,« sagte Wandel und las: »Nie hat eine Macht heuchlerischer gehandelt und die Gesetze der Treue und des guten Glaubens frevelnder gebrochen als Preußen. Von ihm kann man lernen, wie man mit Worten schmeichelt und durch Thaten verwundet.« – »Ist's nicht so?«

Der Legationsrath zuckte die Achseln: »Was aus Unentschlossenheit gefehlt und in Thorheit gesündigt ward, heißt nun sträfliche Hinterlist. – Warum war man unentschlossen und warum handelte man thöricht?« – »Lesen Sie weiter.« – »Der aufgegebene Krieg gegen Frankreich war ein unwürdiges Geständniß von Schwäche, die sogenannte Verwaltung Hannovers bis zum Abschluß des allgemeinen Friedens überdachter Verrath. Erröthet Preußen nicht vor der Entschuldigung, daß die Wahl der Mittel zur Sicherung seiner Ruhe nach der Schlacht von Austerlitz nicht mehr von ihm abhängig gewesen sei? Ziemt eine solche Sprache einem schlagfertigen Staate, wenn es Ruhm und Vaterland gilt? Ziemt sie vor Allem dem Preußischen, der Friedrichs Siege hinter sich hat, Friedrichs Heer vor sich und zur Seite Rußlands Beistand? Preußen prahlt mit gebrachten Aufopferungen. Ja, es hat geopfert seine Unabhängigkeit, seine alten Besitzungen, seine treuesten Unterthanen und seine zuverlässigsten Bundesgenossen. Preußen hat durch den Schönbrunner Vertrag aufgehört als selbstständige Macht, es kann[488] nur noch existiren unter den Flügelschlägen des französischen oder russischen Adlers.«

»Was sagen Sie dazu?« – »Warum fordert man von den Epigonen den Muth der Titanen!« – »Der kleine König von Schweden sperrt ihnen auch die Ostseehäfen, er kapert auch, wie die Engländer, ihre Schiffe. Man hätte doch nun erwartet, sie würden Schwedisch-Pommern nehmen.« – »Man ist befangen im Bewusstsein seines Unrechts; und statt es gut zu machen, indem man es vollendet, verdoppelt man den Fehltritt, indem man es halb thut.« – »Das ist Ihre Moral, Wandel. Ich im Gegentheil bewundere den Muth dieser Staatsmänner. Mit welchem Gesichte kann der Mann von Schönbrunn vor die Prinzen, vor die Bilder seiner alten Könige treten, vor das Land, vor das Preußische Heer, vor Friedrichs Armee? Erklären Sie mir den Muth, Wandel, wie er vor diesem stolzen, hochmüthigen Offizierskorps es aussprechen darf! Preußen fühlt sich zu schwach, mit dem stärksten Bundesgenossen an der Seite, einen gerechten Krieg zu führen. Können Sie's?«

»Gnädigste Frau, vor wem erröthen, wem Rechenschaft geben? – Wer fordert sie von dem Manne?« – »Und sei es nur vor seinem eigenen Spiegel.«

»Der Spiegel, Gnädigste, ist unser Machwerk; man schleift, färbt ihn, wie man will, man stellt sich vor ihn, wie man Lust hat. Die Hand in der Brust, das Kinn aufrecht, die Blicke funkelnd. Oder die Arme gekreuzt auf der Brust, die Augen niedergeschlagen; der Spiegel ist gehorsam, er giebt Alles wieder. Denken Sie ihn sich so, mit verkniffenen Lippen davor, und er lispelt: er war stark und wir schwach, er entschlossen und wir wissen nie heut, was wir morgen thun sollen, er hat ein kriegsgewöhntes, siegreiches Heer und wir eins, was den Krieg verlernt hat. Ein Krieg kostet Blut, viele Menschen, er ruinirt noch mehr Bürger, seine Nachwehen sind furchtbarer als seine Verwüstungen. Alles das sind Realitäten, die Ehre aber ist ein Wahn. Mein König hat einen Abscheu vor Blutvergießen und ich liebe es nicht. Alle guten Menschen lieben es nicht. Gott auch nicht, er hat den Frieden geboten und Napoleon bietet ihn auch. Sind das nicht eben so viele Winke des Himmels? Wofür sollen wir uns schlagen? Für uns doch nicht. Er will uns ja mehr geben, als wir hatten. Für Oesterreich etwa, das verloren hat? Wir sind doch nicht Don Quixoten, um für einen Rivalen uns zu opfern? Oder für das thörige Gebrause, was man jetzt öffentliche Meinung nennt? Wiegt meines Königs unausgesprochener Wunsch nicht schwerer? Die öffentliche Meinung macht mich nicht zum Minister, sie möchte mich stürzen. Aber sie kann's nicht. Mein König kann mich halten, und er wird es.«[489]

»Von Advokaten des Teufels hab' ich wohl gehört,« sagte die Fürstin, ihn fixirend, »nur weiß ich nicht, wer sie bezahlt.«

»Ich halte Excellenz für einen sehr honetten und zuweilen sehr heiligen Mann, der, wenn er den Feind citirt, es gewiß nur thut, um ihn zu beschwören. Vielleicht – ich sage, es ist möglich, daß er jetzt in der Stille die Hände vor seinem Bilde, nämlich im Spiegel, faltet, auch vielleicht ein Kreuz schlägt, und aus tiefer Brust seufzt: Ich bin ja nur sein unwürdiges Werkzeug! Gegen letzteres wird denn wohl Niemand etwas einzuwenden haben.«

»Incorrigibler!« sagte die Fürstin und gab ihm einen leichten Schlag mit dem ausgezogenen Handschuh, um doch sinnend wieder vor sich niederzublicken: »Und doch, wäre es ein Wesen von Fleisch und Blut, dieses Preußen, ich könnte es beneiden um die Empfindung. So zerknirscht in Demuth niederzufallen in den Staub, an die Brust zu schlagen und zum Herrn zu rufen: Strafe mich um meinen Dünkel und meine Ueberhebung. Das sind die Früchte meiner Saaten, daß ich mich auflehnte gegen Deine Satzung! – Ach nein, sie kennen nicht die Wollust der Demuth und Zerknirschung, sie sind alle noch aus Friedrichs Schule, schlechte Schulknaben, sie beten nicht den Herrn, nur ihren Witz an, und sein Gespenst seh ich umherschleichen – das muß eine furchtbare – die fürchterlichste Strafe des Himmels sein: so sein Werk zertrümmert, seine Schöpfung verhöhnt, sein Geist zum Pasquill – und Keiner den Muth, in ihrer Erniedrigung die Arme zu erheben: Herr, erbarme Dich unser!«

Herr von Wandel kannte die Fürstin – auch ihre temporellen Visionen. Sie genirten ihn nicht. Die liebenswürdige Frau liebte nicht die Gêne. Er wartete in Geduld, bis der Paroxysmus vorüber war; er brauchte nicht lange zu warten.

»Nun an Ihr Geschäft,« sprach sie. »Wie lange lassen Sie die arme Eitelbach warten!« – »O, dies hat Zeit!« – »Sie würden einen guten Marterknecht abgeben.« – »Ich weiß in der That noch nicht, was ich mit ihr reden soll.« – »Wenn Sie nur Die persifliren können, die Sie vorgeben zu lieben, so versuchen Sie es einmal, sich in die Baronin zu verlieben. Ich erlaube es Ihnen.« – »Der Rath ist nicht so übel!« sagte der Legationsrath und verneigte sich tief. »Mit meiner gnädigen Freundin Erlaubniß will ich wenigstens den Versuch machen.«

Die Fürstin hörte es nicht mehr, sie warf am Fenster der abfahrenden Adelheid Abschiedsgrüße zu.

»Unter Heiligenbildern eine Heilige!« rief der Legationsrath der Baronin entgegen.

»Wissen Sie, was mein Mann von Ihnen sagt?« replicirte die Baronin. »Wie heilig Sie auch aussähen, Sie wären ein[490] Pfiffikus, und er möchte mit Ihnen keine Geschäfte machen.« – »Warum sollte er theilen! Er macht für sich allein die besten.« – »Ihnen traute er nicht über den Weg, meinte er neulich.«

Der Legationsrath zuckte lächelnd die Achseln: »Was konnte ich dafür, daß aus der Mäntelgeschichte nichts ward. Meine Absichten waren die besten, meine Demarchen gut, es stieß sich an andern Dingen. – Ja, theuerste Freundin, wie viel ist damit ausgesprochen! Unser Wille mag noch so rein sein, wir thun alles, was wir können, der Himmel selbst scheint uns zu winken, und es wird doch nichts draus. Das ist der unerforschliche Organismus jener höheren Sphärenkreise, in die unser Auge vergebens zu dringen sucht. Darin finde ich aber eben den merkwürdigen Unterschied zwischen Ihrem und unserm Geschlecht, ich meine zwischen den Erwählten. Während wir noch immer titanisch nach dem Unmöglichen ringen, findet das edle Weib schon in der Entsagung den höhern Trost. Da erst verklärt sich ihre Liebe zu derjenigen, welche nicht besitzen, nur beglücken will; selbst beglückt, wenn sie den geliebten Gegenstand glücklich sieht in der Liebe zu einer Andern.«

Der Legationsrath schien unwillkürlich mit dem Taschentuch über seine Augen zu fahren. Die Baronin sah ihn aber sehr scharf an: »Was meinen Sie denn damit? Denn das habe ich Ihnen auch abgemerkt, Sie sagen nichts ohne Absicht.« – »Meine Freundin wird aber darin mit mir einig sein, daß es unter zartfühlenden Seelen besser ist, über gewisse Interessen nur andeutend wegzugehen, als sie auszusprechen. Wer heilende Wunden muthwillig aufreißt, wird zum Selbstmörder.«

Die Baronin sah ihn so klar an, daß Wandel seine Augen einen Moment niederschlug: »Manche Wunde thut auch wohl, wenn man weiß, daß, der sie schlug, es in guter Absicht that. Sie sind nicht Dohlenecks Freund, leugnen Sie's nur nicht; ich weiß es –« »Mir ist er eigentlich ganz indifferent, meine Freundin. Wenn er feindliche Gefühle gegen mich hegt, so sind sie ihm wahrscheinlich vom jungen Bovillard beigebracht.« – »Sie meinen auch, wie die Andern, daß es nur Mißverständnisse sind?« – »Von dem, was die Leute sprechen, lass' ich mich nie bestimmen.« – »Ja, es ist ein Mißverständniß,« sprach sie mit gen Himmel erhobenen Blicken. »Es war kein Zufall, ich weiß, daß alle die Kränkungen von ihm absichtlich ausgingen –« »Ist es möglich!« – »Ja, mein Herr Legationsrath, so gewiß, als Sie hier vor mir sitzen.« – »So abscheulich hatte ich ihn mir doch nicht gedacht. Und sieht aus, als könnte er keinem Kinde das Wasser trüben.«

»Und seine Seele ist so rein, wie der Spiegel eines Sees.« –[491] »Sie sprechen in Räthseln. – Ich, oder vielmehr ein Freund, glaubten letzthin in Ihren Blicken ein stummes Spiel gegenseitiger Verständigung zu entdecken. So kann man sich täuschen!« – »Sie haben sich nicht getäuscht.« – »Das Räthsel wird immer dunkler.« – »Und immer heller in meiner Seele. Ja, weil der edle Mann sah, wie mein Gefühl für ihn heftiger ward, wie ich mich von ihm hinreißen ließ, und weil er mich wahrhaft liebt, darum mit eigner Selbstüberwindung jene Kränkungen und Aergernisse, die mich tief betrübten, um dann mich wieder desto höher zu erheben. Er beleidigte mich, um mich wieder zu mir selbst zu bringen, um mich von meiner Leidenschaft zu heilen. So lebten wir eine lange schmerzliche Weile uns zur gegenseitigen Qual, bis – wir uns verstanden haben. Nun aber haben wir es, und ich bitte es ihm tausendmal im Herzen ab, wie ich ihm Unrecht gethan. Ich glaubte zu leiden, und wie musste er erst leiden, indem er mir und sich zugleich so unaussprechlich wehe that.«

Wandel, der etwas unaufmerksam gesessen, warf hier einen forschenden Blick auf die Rednerin. Er hatte manches, aber dies gerade nicht erwartet. Die Geschichte interessirte auch ihn nicht mehr besonders, oder er war im Nachsinnen, wie er ihr eine andere Wendung beibringe, um ihr wieder ein Interesse abzugewinnen. Es war die Neugier, wie man in einem empfindsamen Roman plötzlich die Seiten umschlägt, um die Motive eines den Leser überraschenden Sinnesumschlag zu erfahren, mit der er sie rasch fragte: »Und das hat er Ihnen Alles gesagt?« – »Kein Wort.« – »Ah, also die Sympathie der Seelen!« – »Warum senken Sie die Augen?«

Er musste sich gestehen, daß diese Wendung dem, was die Freunde wollten, am wenigsten entspreche: »Oh, das ist ein Thema,« rief er, »bodenlos, unergründlich.« – »Sie erschrecken ja beinah.« – »Ich! – Erschrak ich? – Ich stellte mir nur vielleicht die Frage, ob es ein Glück ist, in der Seele des Andern lesen zu können? Oder nicht vielmehr ein Unglück? Fragen Sie sich einmal, ganz aufrichtig, die Hand aufs Herz. Würden Sie wünschen, daß ein Andrer Ihre Gedanken läse wie ein offenes Blatt?«

Er hatte ihre Hand ergriffen und legte sie sanft an ihr Herz. Sie ließ es geschehen, und sah ihm klar in die Augen. Ohne alle Bewegung sprach sie mit heller Stimme: »Ja, es könnte Jeder lesen.« – »Auch der Baron, Ihr Gemahl?« – »Jetzt erst recht. – Im Anfang schoß es mir da über den Kopf. Nachher ward ich zuweilen stutzig, ich schämte mich, wenn Der und Jener mir jetzt ins Herz sähe, und ich gab mir Mühe, daß ich's mir anders zurecht legte und rechtfertigte, aber nun habe ich's nicht nöthig. Da fiel mir wieder ein, was mal der Prediger sagte: Jedes[492] guten Menschen Herz muß so zugerichtet sein wie ein Glasschrank. Darin verbirgt man nichts, und wer in die Stube tritt, sieht es.« – »Der gute Prediger unterließ nur hinzuzusetzen, meine Freundin, daß wir nicht Jeden in unsre Stube lassen. Die Stube verschließen wir, und der Glasschrank steht nur offen für unsere Freunde, für die, welche wir geprüft, die täglich Zutritt haben. Ja, die mögen hineinschauen, und sich der Dinge freuen, die uns erfreuen.« – »Ach, ich weiß Jemand, der würde sich zuknöpfen, wenn man ihm ins Herz sehen wollte!« – »Wer ist das?« Wandel schien über diese Wendung des Gesprächs noch weniger erfreut. – »Sie sind ein guter Mensch, Herr von Wandel, aber voller Finten. Reden Sie sich ja nicht aus, ich weiß es.«

Er hatte ihre schöne Hand, die über der Divanlehne lag, erfasst und drückte sie sanft an die Lippen. »Könnten Sie in dies Herz schauen!« sprach er seufzend. »Finten nennt es meine Freundin. Immerhin! Finten sind Spitzen, aber es sind blutende Spitzen, Dolchstiche, Dornen, die Andere hinein gedrückt. Da ist der einzige, aber ein süßer Trost, daß um diese Dornen Rosen blühten.«

Sie hatte die Hand ruhig seinen Küssen überlassen, und schien verwundert, als er plötzlich aufstand und den Stuhl wegsetzte.

»Wohin wollen Sie denn?« – »Nach dem Lande wo keine Rosen blühen.« – »Jetzt doch nicht gleich?« – »Ich bin keine Stunde sicher, daß nicht die Pässe und Anweisungen aus Petersburg eintreffen, und darf meines Verweilens nicht mehr lange sein. Die Akademie in Petersburg hat zu meiner Beschämung eine so dringende Vorstellung an Seine Majestät den Kaiser gerichtet, die Untersuchung der Bergwerke für so wichtig erklärt, und meine geringen Kenntnisse so hoch angeschlagen, daß ich undankbar wäre, wenn ich dem ehrenvollen Rufe zu folgen nur einen Augenblick zauderte.« – »Ihre Verdienste in Ehren, aber – die Gargazin wird sie wohl recht ausgeschrieen haben.« – »Erlaucht hat allerdings auch Güter in Asien, und einige Bergstriche versprechen, wenn mein Auge aus der Ferne sich nicht täuscht, unter geschickter Hand eine ungewöhnliche Ausbeute.« – »Nach Asien wollen Sie, Herr Gott, das ist weit.« – »Bis an die chinesische Grenze. Sie mögen denken, wie schwere – sehr schwere Opfer es mich kostet!« »Wie so denn?« – »Muß ich nicht meine eigenen Güter in Thüringen verlassen?« – »Wissen Sie, was mein Mann sagt? – Die möchte er nicht geschenkt haben; wenn Sie nicht die Feldsteine zu Klößen kochen lernten, müsste 'ne Kirchenmaus drauf verhungern.« – »Ei, Ihr Herr Gemahl auch Oekonom? Ich hielt ihn nur für einen Spekulanten. Für den glücklichsten, weil – er das große Loos gezogen hat.«[493]

Die Baronin lachte ihn recht herzlich an: »Damit meinen Sie mich; mir verbergen Sie nichts. Wenn Sie aber meinen Mann fragen, so sagt er Ihnen, es wäre seine schlechteste Spekulation.« – »Ich halte viel auf Ihren Herrn Gemahl. Ueber dem tiefen Schacht von Wissen und Erfahrung spielen wie Schmetterlinge Humor und Witz. Ich weiß seinen kaustischen Witz zu schätzen; weil ich ihn verstehe, verwundet er mich nicht wie Andere, und es thut mir aufrichtig leid, daß unsere verschiedenen Berufsgeschäfte uns so selten zusammenführten. – Glauben Sie mir, auch von ihm wird mir die Trennung schwer.« – »Von wem denn sonst noch! Von der Geheimräthin oder der Fürstin! oder – oder – oder« – »Verdiene ich diese Bitterkeit? Die Baronin Eitelbach sieht mich gern scheiden.« – »Nein, weiß Gott, nein, ich plaudere gern mit Ihnen. Ich glaube Ihnen nicht alles, was Sie sagen, aber es hört sich so hübsch an. Es klingt, als ob man mit Ihnen in die Wolken fliegen müsste.« – »Seele mit dem Taubenauge und dem Blick des Adlers, erlauben Sie mir, den Bruderkuß auf die Stirn der Schwester zu drücken.«

Sie wehrte ihn, als er im Begriff war es zu thun, sehr entschieden zurück: »Sie sind es noch nicht. Wenn's so weit ist, wollen wir uns besinnen.« – »Einen Wunsch erlauben Sie mir wenigstens, mit den Lippen auf Ihre schöne Hand zu hauchen.« – »Hauchen Sie aber nicht zu lange.« – »Wie Sie in meine Seele blicken, möchten Sie eben so klar in die des Rittmeisters blicken! Jetzt noch nicht, aber später, wenn ich fort bin.« – »Warum denn jetzt nicht?« – »Jetzt hat er genug Beschäftigung mit der kleinen Choristin.« – »Welche Choristin?« – »Die in der Geisterinsel die Herzen entzückt. Sie wissen ja.« – »Sie sind ein abscheulicher Mensch.« – »Vielleicht irre ich mich auch. Sein Neffe, der Kornet, bezahlt sie, und die böse Welt sagt: für seinen Onkel. Doch, wie gesagt, das mag nur Gerede sein. Und wäre es, ist's ein Versuch, seinen Schmerz zu betäuben. Das will ich ihm verzeihen. Aber – ich glaube, es ist vielleicht besser, ich schweige.«

»Nein, jetzt ist's besser, Sie reden. Das ist eben so abscheulich von Ihnen, daß Sie einen Stachel Einem ins Herz senken, und dann laufen Sie fort. Man quält sich, was es ist, und dann ist's am Ende nichts.«

»Auch ich hoffe, daß es nichts ist. Das ist das Opfer, welches ich Russland und der Wissenschaft bringe, jetzt von so vielen Freunden mich loszureißen, die vielleicht meiner Hülfe bald bedürfen. Einer Eigenschaft rühme ich mich – ich ward frei von Affekten, ich blicke in die Zukunft, in die Seelen der Menschen, die Fältchen und die Schleier derselben täuschen mich nicht. Der Rittmeister ist, ja ich gebe es zu, was man nennt, ein guter[494] Mensch, aber verschuldet, bis über die Ohren verschuldet. Der Krieg konnte ihn retten. Nun bleibt Friede. Er muß alle Anstrengungen machen, sich über dem Wasser zu halten. Damals, als es losgehn sollte, überkam ihn ein nobler Impuls; das ist nun vorüber, er ist Mensch, ein armer Edelmann, ein Offizier, auf seine Gage angewiesen, von Gläubigern gedrängt, gewissermaßen von den Umständen zum Aventurier gestempelt, gezwungen, sein Alles auf eine Karte zu setzen. Lieber Gott, er ist darum kein Bösewicht, daß er alle Rollen spielt, den brüsken, den sentimentalen, sogar den idealen Liebhaber, um eine reiche Frau zu kapern.«

»Sind Sie bei Trost? Ich bin ja verheirathel!« – »Daran denkt ein solcher Aventurier nicht. Er hält Alles für erlaubt, und in der Noth kein Band zu fest. Ich kenne solche Menschen.« – »Jetzt schweigen Sie. Sie mögen viele Menschen kennen, aber den Rittmeister Stier von Dohleneck kennen Sie nicht. Ich könnte Ihnen sehr böse werden, spinnefeind, wenn Sie nicht ein so guter Mensch wären. Darum bitte ich Sie, thun Sie mir den Gefallen und – sein Sie still. Kein Wort mehr davon!«

Er verneigte sich respektvoll: »Ich gehorche dem Befehl, wo ein leiser Wunsch genügt hätte; aber eine Bitte spreche ich im Scheiden aus. Wenn das Traumbild Ihres Glaubens zusammensinkt, wenn Sie sich schwach fühlen, wenn mit Ihrem Vertrauen das Glück des Lebens vor Ihnen zusammenbricht, dann denken Sie, dann rufen Sie mich. Ich werde Ihre Stimme hören, auch wenn hunderttausend Meilen uns trennen, kein Brief mich trifft, keine Taube durch die eisigen Lüfte dringt. Wenn Auguste von Eitelbach gepressten Herzens in ihrem Kummer meinen Namen nennt, wenn sie schluchzend in die Nacht ruft: Ach, wäre er hier, er könnte mir helfen, dann werde ich Ihren Ruf hören, ob ich im tiefsten Schacht der Bergwerke von Irkutzk dem Licht der Gnomen folge, um die Adern edler Erze zu schlürfen, oder einsam schweife auf einem Rennthierschlitten um die kalten Seen Sibiriens – und ich bin bei Ihnen.«

Ohne einen Händedruck war er nach der Thür geeilt. Sie rief ihm nach: »Nach Sibirien gehen Sie?« – »Warum schaudern Sie, gnädige Frau? Es ist warm auch am Eispol, wenn das Blut im Herzen pulst.« – »Ich dachte nur – ich war in Glogau, als der Erxner, der Raubmörder, nach Sibirien transportirt ward. Was man doch manchmal Närrisches denkt – wenn Sie auch so in Ketten hingeschleppt würden! – So fuhr er auch zusammen, wie Sie jetzt –«

Er verneigte sich noch einmal und war verschwunden. Sie sah ihm aus dem Fenster nach. So in sich versunken hatte sie ihn noch nicht gesehen. Er erwiderte den Gruß zweier Bekannten[495] nicht. »Er hat nur einen Fehler,« sprach sie bei sich, »er kann den Rittmeister nicht leiden. Aber – aber er wird noch nicht – mit Sibirien hat's gewiß noch gute Weile.«

Quelle:
Willibald Alexis: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht. Vaterländische Romane, Berlin: Otto Janke, 4[1881], Band 7, S. 485-496.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Ruhe ist die erste Bürgerpflicht
Ruhe ist die erste Bürgerpflicht!

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Ein Spätgeborner / Die Freiherren von Gemperlein. Zwei Erzählungen

Ein Spätgeborner / Die Freiherren von Gemperlein. Zwei Erzählungen

Die beiden »Freiherren von Gemperlein« machen reichlich komplizierte Pläne, in den Stand der Ehe zu treten und verlieben sich schließlich beide in dieselbe Frau, die zu allem Überfluss auch noch verheiratet ist. Die 1875 erschienene Künstlernovelle »Ein Spätgeborener« ist der erste Prosatext mit dem die Autorin jedenfalls eine gewisse Öffentlichkeit erreicht.

78 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon