[Ich baute eine Mauer]

[413] Ich baute eine Mauer

Aus Gold und Edelstein,

Draus wohnet Nacht und Schauer

Drin lichter Gnadenschein.[413]


Hab' alles Licht gezogen,

Mit Gottes durst'gem Mund,

Verwölbt den Himmelsbogen

In meines Herzens Grund.


Hab' allen Mai gerissen

In die geheime Nacht,

Daß in den Finsternissen

Dem Herrn ein Gärtlein lacht.


Er, er soll alles haben,

Ihm bin ich selig still,

Ihm hab' ich mich begraben,

Ihm, dem ich leben will.


Wie eine fromme Imme

Trag' ich ihm alles ein,

Der mir die innre Stimme,

Giebt durch mein Fensterlein.


Der mich läßt Blümlein sehen

Und auch den Rosendorn,

Lehrt durch die Mauer gehen

Hin zu dem Honigborn.


So füll' ich Zell' an Zelle,

Ihm, ihm dem Herrn allein,

Drum Epheu an der Schwelle

Sollst du nicht traurig sein.


Es müßt' mich billig jammern,

Wenn du mir untergingst,

Der du mit Lebensklammern,

Die Wand mir grün umschlingst.


Wenn draus du betend rauschest

An meiner Kammer Wand,

Wenn draus du sinnig lauschest,

Klingt, glänzt die innre Wand.[414]


Dann muß ich für dich beten,

Und bei dir kehren ein,

Wenn mich die Nacht betreten

Draus wo kein Gnadenschein.


Mit allen Wurzeln trinkest

Du Leben ja aus mir,

Und wenn du niedersinkest,

Reich' ich die Hände dir.


Die kalten, frommen Hände,

Draus kalt, daß Gott erbarm',

Drin schimmern, glühn die Wände,

Drin ist es licht und warm.


Draus kann ich dir nur schweigen,

O klimme treu am Stein,

Du findst mit deinen Zweigen

Noch einst mein Fensterlein.


Dann magst du niederblicken

Mit deinem bittern Leid,

Und magst mir Tränen nicken

In meine Seligkeit.


Und wenn ich ausgebauet,

Mein Haus mit Liebe voll,

Daß ich nun angetrauet

Dem Liebsten werden soll


Will ich mein Kränzlein brechen

Von deinem dunkeln Grün,

Und zu dem Liebsten sprechen,

Herr laß mir diesen blühn.


Laß ziehn mich ihn von dannen

Bis über diese Welt,

Er soll mir dorten spannen

Mein hochzeitliches Zelt.[415]


Rein hilf du mir ihn machen,

Ihn, der mich nicht erschreckt,

Ihn, der mir böse Drachen

In seinem Laub entdeckt,


Daß ich jungfräulich trete

Auf dieses Drachenhaupt,

Damit er mit mir bete,

Damit er mit mir glaubt.


Damit den Schatz ich hebe,

Auf dem der Drache ruht,

Und dir mit mir ihn gebe

O Jesu für dein Blut.


Wer Schätze hebt, muß schweigen

Bedenk mein Epheu dies,

Umflicht nur treu mit Zweigen

Dein stummes Paradies.


Treu will ich dich ernähren

Durch scheinbar kalten Stein,

Trink meine frommen Zähren,

Wachs in mein Fensterlein.


Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 1, München [1963–1968], S. 413-416.
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