[Unter des lebenden grünenden Tempels]

[78] Unter des lebenden

Grünenden Tempels

Flüsternde Hallen

Komme ich irrend.


Wie sich die Eiche

Himmelwärts türmet,

Wie in dem Gipfel

Ruhet des Mächtigen

Jupiters Fuß.


Und in dem Herzen

Fühl' ich die Nähe

Heiliger Wesen,

Die durch die Zweige

Zu dem Olympos

Wandeln empor.


Führt mich ihr friedlichen

Geister des Haines,

Die mich umschweben

Lachend und rufend,

Führt mich zurück.


Irrende, flüchtige,

Tönende Geister,

Die ihr mit schäkernden

Lispelnden Worten

Irr mich geführt.


Hier wo in mondlichen

Nächten ihr rauschet,

Und um die wohnsame

Herrliche Eiche

Tanzend euch schwingt.


Wo ich im Taue

Freudigen Grases[79]

Von euren flüchtigen

Goldenen Sohlen

Ehre die Spur. –


Hört mich ihr freundlichen,

Die ihr verlorene

Götter gepfleget,

Die ihr die fliehende

Daphne umarmt.


Frohe, geheime,

Lindernde Geister,

Die in des Waldes

Rührigen Schauer

Weben den Trost.


Mächtige, lebende,

Stärkende Geister,

Die in der Stämme

Alter und Jugend

Bilden die Kraft.


Wenn ich je frevlend

Eure geheiligten

Stämme verletzet,

O! so verdorre

Welkend die Hand.


Nimmer auch höhnt' ich

Echo die Jungfrau,

Die mit euch wohnet,

Teilt ihr vertraulich

Liebe und Schmerz.


Führet mich heimwärts!

Bin nur ein Wandrer,

Bin kein Unsterblicher,

Der mit ambrosischen

Bissen sich nährt.[80]


Wisset mich hungert,

Führet mich heimwärts,

Daß ich dem Freunde

Von der Dryaden

Hülfreicher Güte

Bringe die Mär.


Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 1, München [1963–1968], S. 78-81.
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