Er liebet sie.

1.

Ich lieb dich schönstes Kind /

Der Anblick deiner zarten Wangen

Läßt mir ein solch Gefilde sehn /

Auf welchem Lilg- und Rosen stehn /

Die in der schönsten Blühte prangen.

Kein Schnecken-BIut ist zuvergleichen

Mit deiner Lippen Wunder-Pracht /

Womit die Schönheit selber lacht /

Vor deinen Mund Corallen weichen.

Ich lieb dich schönstes Kind.


2.

Ich lieb dich schönstes Kind /

Von deinen Feuer-reichen Augen

Ist meine Seel in Brand gesetzt /

Aus dem / was deine Lippen nätzt /

Muß man den Liebes-Nectar saugen.

Es laben sich die matten Sinnen

An diesen angenehmen Fluß /

Durch den so sehr beliebten Kuß

Spührt man ein Rosen-Zucker rinnen.

Ich lieb dich schönstes Kind.


3.

Ich lieb dich schönstes Kind.

Der Ort / wo Himmels-Blumen blühen /

[258] Ist deine wunder-schöne Brust /

Die Aepffel ungemeiner Lust

Nach dieser zarten Gegend ziehen /

Ihr Anblick zeiget solche Früchte /

Woran die Anmuth selbsten baut /

Und fast einjedes Auge schaut

Nach diesen lieblichen Gerichte.

Ich lieb dich schönstes Kind.


4.

Ich lieb dich schönstes Kind.

Der Wunder-glantz der SchwaanenBrüste

Beschämt das weisse Helffenbein /

Es führet nicht so schönen Schein

Das Marmel-gleiche Stern-Gerüste;

Die Anmuths-Rosen / so sie decken

In solcher Pracht und Zierde stehn /

Daß ihr beliebtes Tausend-Schön

Verhöhnt das edle Blut der Schnecken.

Ich lieb dich schönstes Kind.


5.

Ich lieb dich schönstes Kind.

Du Eben-Bild der hellen Sonnen

Must mir auch eine Sonne seyn /

Die mit beliebten Glantz und Schein

Den Geist erquickt / den sie gewonnen

Kan ich mich an den Blicken laben /

Und küsse ich die schöne Brust /

So schmecke ich die frohe Lust /

Wodurch man kan den Himmel haben.

Ich lieb dich schönstes Kind.


6.

Ich lieb dich schönstes Kind.

Laß mir den Liebes-Garten offen /

Der lauter Lebens-Früchte trägt /

Lind soviel Anmnth in sich hegt /

Daß man nicht darf vergebens hoffen.

Gedenck' ich an die seltnen Schätze /

Die dein verborgnes Eiland giebt /

So bin ich froh / und doch betrübt /

[259] Weil ich mich nur im Traum ergötze.

Ich lieb dich schönstes Kind.


7.

Ich lieb dich schönstes Kind.

Erhöre doch mein süsses Leben

Das Flehen / so dein Knecht ausstößt /

Die zarte Brust sey mir entblößt /

So Milch und Schnecken-Blut umgeben /

Daraus du Zucker-Lust den Seelen

Und holde Anmuth flössest ein /

Alsdenn verschwindet jene Pein /

Womit sich meine Sinnen quählen.

Ich lieb dich schönstes Kind.


Quelle:
Celanders Verliebte-, Galante / Sinn-, Vermischte und Grab-Gedichte. Hamburg und Leipzig 1716, S. 215-216,258-261.
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