Maria

[223] Ich war in deinen Kreis getreten, Weib,

Und meine Leidenschaft schrie auf zu dir –

Und alles bebte von mir hin zu dir –

Und meine Glut warf mich in deinen Staub –

Und meine Gier brach meines Stolzes Knie –

Und meine Brandung rang empört um dich –

Und alles schoß zusammen zu dem Schrei:

Nur einmal nimm das Opfer meiner Kraft –

Sieh, meine Arme stöhnen dir entgegen –

Entgürte deines Leibes Schönheitssegen

Dem Katarakte meiner Leidenschaft! – –


Gelegentlich traf ich dich mal allein – das heißt:

Auf deinen Armen, die mich trunken machten,

Sah ich des Fleisches feste, volle Wölbung,

Trugst du dein Kind – dein Kind, wie einen Schild,

Mit dem du meinem Frevel wehren wolltest –

Hm! Meinem Frevel, den du doch erlechzt –

Zusammenschauernd von dem Fremdling heischtest ...
[223]

Ich haßte es, dein Kind – ich haßte es ...

Und doch sah's mich mit seinen großen, blauen,

Neugierigen Augen furchtlos an ... und patschte

Mit seinen kleinen, dicken, plumpen Händchen

Zu mir herüber ... Und du zittertest ...

Und schwiegst ... halb überlidert stahl dein Blick

Zu deinem Kinde sich ... an mir vorüber ...


Mir aber war's, als kämen deine Augen

Weit ... weit aus der Vergessenheiten Land –

Aus des Gewesnen ungeheurer Zone –

An eine andre Mutter mußt' ich denken –

An eine andre Mutter mit dem Sohne ...


Und so – so schont' ich dich ... und spielte träumend

Mit deinem Kinde, das nun lächelte

Und mir sein süßes, helles Papa! lallte ...

Wie lieblich du errötetest! Indessen –

Ich hatte dich, geliebtes Weib, vergessen –

Vergessen, wie in schwülem Wahnsinn ich

Dich heiß begehrt ... und deines Leibes Seele

In meine Seele hatte trinken wollen ...


Dann bot ich dir zum Abschied still die Hand ...

Und schonte dich ein andres Mal – denn da

Ich deine weichen, schlanken Finger spürte,

Da – allein ich ging ... ich ging und freute mich,

Daß ich so Meister meiner Leidenschaft –

In einem dunklen Eckchen meiner Brust

Hatt' breit sich die Befriedigung aufgebläht –[224]

Du zittertest – er hatte keine Lust

An deinem Leibe mehr – der Fremdling – geht ...


Und ganz gemächlich, langsam, Schritt für Schritt,

Bin ich die Straße dann hinabgeschlendert ...

Zu deinem Fenster blickt' ich nicht empor –

Ich wußte es: dort oben standest du ...

Und sahest mir nach ... und warest auch allein ...

Ich hörte, wie gepreßt du atmetest –

Ich sah, wie du die weiße, heiße Stirn

Verzweifelnd an die kalte Scheibe drücktest –

Ich fühlte deine Hand auf meinem Arm –


Ich fühlte deinen Blick in meinem Auge –

Ich zitterte ... und schritt doch ruhig weiter ...

Und dachte dabei noch an dies und das –

Bis ich in meine stille Stube trat,

Drin ihre seidenweichen, grauen Flocken

Voll von verschwenderischer Zärtlichkeit

Die Dämmerung balsamgütig ausgesät ...

Ich setze mich in meine Sofaecke ...

Und fürchtete mich vor dem Licht – gewiß!

Es würde meine heißen Augen schmerzen ...


Quelle:
Hermann Conradi: Gesammelte Schriften, Band 1: Lebensbeschreibung, Gedichte und Aphorismen, München und Leipzig 1911, S. 223-225.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Müllner, Adolph

Die Schuld. Trauerspiel in vier Akten

Die Schuld. Trauerspiel in vier Akten

Ein lange zurückliegender Jagdunfall, zwei Brüder und eine verheiratete Frau irgendwo an der skandinavischen Nordseeküste. Aus diesen Zutaten entwirft Adolf Müllner einen Enthüllungsprozess, der ein Verbrechen aufklärt und am selben Tag sühnt. "Die Schuld", 1813 am Wiener Burgtheater uraufgeführt, war der große Durchbruch des Autors und verhalf schließlich dem ganzen Genre der Schicksalstragödie zu ungeheurer Popularität.

98 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon