Gedanken bey einem Spazirgange im Sommer

[42] Auf überstandne Tageslast

Fand sich Sylvander einst begihrig nach der Rast,

Ermüdet von der Arbeit Mänge;

Und wollte sich dem wühlenden Gedränge,

Dem Kerker seiner Stadt entziehn.

Er floh den unmuhtsvollen Ort,

Da uns die bange Luft beklemmet,

Da Maur und Wall uns unsre Freyheit hemmet,

Und satzte seinen Fuß ins holde Grüne fort.

Erst irrt er hin und her mit ungewissem Tritt,

Bis daß sich seinem Aug ein schöner Vorwurf wiese.

Doch führet ihn zuletzt der unvermerkte Schritt

Zu einem holden Platz, zu einem Paradise.


Zur Linken stund ein anmuhtsvoller Wald

In einer prächtigen Gestalt.

Man sah die Baüme fast bis an die Wolken reichen.

Die etwas dünne Zahl der grün-belaubten Eichen,[43]

Worauf der Vögel munters Heer

Mit freyem Spielen flog, mit unbesorgtem Singen,

Ließ seinen Blick je mehr und mehr

In eine dunkle Ferne dringen,

In eine schattenreiche Kluft.

Dort stellte sich in offner Luft

Ein schöner Hügel dar, bedeckt mit schlanken Reben.

Es schien, als wär er selbst bedacht,

Sein stolzes Haupt emporzuheben,

Und wollte seiner Schätze Pracht

Der Welt zu schaun und zu bewundern geben.

An diesen stieß ein buntes Feld,

Das teils mit saftigen, und teils schon reiffen Saaten

Ein prächtig Schauspiel vorgestellt,

Das einem Teppich ähnlich schien,

Worauf ein schimmernd Gold aus grünemTafte strahlte,

Den hier und dar der Bäume dunkler Grün

Mit lieblicher Schattirung mahlte.

Darzwischen lief ein Tahl, in dessen Mitten

Ein Dörfchen lag, voll angenemer Hütten,

Die nicht nach eitler Kunst bereit,

Nicht nach gezwungnem Maß des Zirkels eingefangen;

Nein, sondern hin und her zerstreüt,

Wie der bequeme Brauch und Nutzen es verlangen,

In einer wilden Zierlichkeit.


Sylvander sah entzückt so viele Lieblichkeit.

Er legte seine müden Glider[44]

Bey einem dicken Busche nider,

Bedeckt vor Hitz und Sonnenschein;

Und sog allda mit langen Zügen,

Zu seinem innigsten Vergnügen,

Des Himmels reinen Hauch, der Blumen Balsam ein.

Die Gegend reizet ihn zu andachtsvollem Triebe.

Mein Schöpfer, hub er an, du Abgrund aller Liebe,

Wie schöne hast du Lust und Nutzen doch gepaart!

Was jetzt mein Aug entzückt, erhält mir auch das Leben.

Die Felder müssen uns die beste Nahrung geben;

Der Weinstock stärket uns; die Früchte mancher Art

Erfrischen Herz und Blut; Und, wenn des Winters Grimm

Und Schnee und Flocken uns bestürmen,

So muß die Waldung uns vor strenger Kälte schirmen.


Er wollte weiter gehn,

Als sein betrübtes Ohr ein lärmendes Getöhn

Aus einer nahen Schenke hörte,

Das plötzlich ihn in seiner Andacht störte.

Ein trunkner Hauff, gereizt von Geig und Leyer,

Bemühte sich, sein wildes Feüer,

Das Wein und Wollust angeblasen,

Mit tollem Springen auszurasen.

Sylvander seüfzt und sprach: O du verblendte Schar,

Wie weit ist deine Lust von meiner unterschieden!

Mir stellt sich die Natur in voller Schönheit dar.

Ich sehe hier in stillem Frieden

Des Schöpfers Macht in seiner Werke Zier.[45]

Was aber zeigt sich dir?

Du sihest, wo dein Aug auch etwas sehen kan,

Nichts, als ein schwärmendes Gewühle

Von ganz verstellten Menschen an.

Mich labt mit seiner holden Kühle

Der anmuhtsvolle West:

Du wirst, wofern der Jescht dich noch was fühlen läßt,

Von lauem Dampf, von bangem Qualm gepreßt.

Des Feldes Ruh, der Blumen Ambrahauch,

Ein Balsam, der ins Herze dringet,

Erquickt mir Muht und Geist; Da dich ein dicker Schmauch

Und stank und Unlust nur umringet.

Mir singt der Vögel muntre Schaar

Mit tausendfach-gebrochnen Melodeyen,

Mit tausendfachen Schmeicheleyen,

Ein Lied, das sie der Schöpfer selbst gelehrt;

Da dir ein toller Lärm, ein unvernünftig Schreyen

Das Ohr betäubt, den Sinn bedöhrt.

Mich führet meine Lust dem grossen Schöpfer zu;

Sie ist ein Vorschmack jener Freüden,

Die einst die Auserwählten waiden,

Die niemand nicht erzählen kan:

Dich treibt die Deinige zu Schand und Graüel an;

Du wälzest dich im Koht hierniden.

O wie beklag ich dich, du armer Hauffe du!

Wie weit ist meine Lust von deiner unterschieden!

Quelle:
Carl Friedrich Drollinger: Gedichte. Stuttgart 1972, S. 42-46.
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