Michael's Sieg.

Der Streit des Guten und Bösen

[524] Eine Kirchenkantate.


Choral 1.


Melodie: »Es ist gewißlich an der Zeit,« langsam und feierlich.


Wie wird uns werden? Schauer liegt

Auf aller weiten Erde!

Wie vor dem Ungewitter, tief

Die ganze Schöpfung zaget!

Die Bäche rieseln trauriger,

Die Wipfel säuseln bebender;

Der arme Wandrer betet.


Chor (fängt wie im fernen Ungewitter an).


Und es erhub sich ein Streit im Himmel;

Michael und seine Engel stritten mit dem Drachen,

Und der Drache stritt und seine Engel.


(Und bricht ab.)


Choral 2.


Wie wird uns werden? Jammer liegt

Auf aller weiten Erde!

Nicht Mensch und Freund und Bruder mehr![524]

Sie sind in Nacht verschwunden!

Die Menschenschuld und Freundesschmerz

Und Muttertreu und Bruderherz –

Wo sind sie hin? – Verschwunden!


Chor.


(In stärkerer Variation.)


Und es erhub sich ein Streit im Himmel;

Michael und seine Engel stritten mit dem Drachen,

Und der Drache stritt und seine Engel!


Choral 3.


Wie wird uns werden? Unser Flehn

Kann keinen Retter finden!

Ach, Menschenflehen rührt nicht mehr

Und keine Tugendthräne!

Tyrannen wüthen, lästern Gott,

Die Drachen! treten tief in Koth

Wie Würmer ihre Brüder.


Chor.


(Im stärksten und ungestümsten Gange.)


Und es erhub sich ein Streit im Himmel;

Michael und seine Engel stritten mit dem Drachen,

Und der Drache stritt und seine Engel!


Recitativ.


Welch ein Gesicht!

Dort ziehen Drachen,

Flammenblaue, schwarze Drachen

Zum Streit auf! zum Streit auf!

Wie die Feuerflügel rauschen!

Und die Lästerzungen zischen!

Und die Schlünde flammen!

Und die Schlangen wüthen!


Arioso.


Wie, wenn sie Verzweiflung wüthend,

Busenstechend, reueflammend,

Racheschnaubend

Du sie fühlst, armes Herz!


Recitativ.


Doch Michael!

Der Held! der Gott![525]

Sonnenhell und sonnenruhig

Kommt sein Blick!

Wer erträgt den Blick? wer erträgt den Blick?

Und sie stürzen, die Tyrannen, aus dem Himmel.

Wie die Schlünde heulen! und die Zungen zischen!

Und die Schlangen krümmen, stechend

Sich rings um ihr Herz!

Und sie stürzen in die Höll', und die Flammen

Schlagen über ihr Haupt zusammen!


Arie.


Und die Schöpfung athmet Freude,

Und die Sonne kehret wieder,

Und der ganze Himmel lacht!

Und die Tugenden und Freuden

Küssend – seht! sie kehren wieder,

Alle Menschen Gottes Kinder,

Aller Brüder Vater Gott.

Und die Schöpfung athmet Freude,

Und die Sonne kehret wieder,

Und der ganze Himmel lacht!


Choral 1.


Ein' feste Burg ist unser Gott,

Ein gutes Wehr und Waffen;

Er rettet uns aus aller Noth,

Die je sein Volk betroffen!

Der Drach' hat uns verführt,

Und dann verklagt' er uns,

Hat unser Herz verklagt

Und alle Welt verführt!

Er wälzt sich nun in Flammen!


Chor.


Nun ist das Heil und das Reich und die Kraft und die Macht

Unsers Gottes, seines Christus, worden.

Der Verkläger unsrer Brüder ist verworfen,

Der sie verklagte Tag und Nacht vor Gott.


Choral 2.


Triumph, Triumph ist unser Gott!

Wir schwingen Siegesfahnen![526]

Vom Blute roth! Des Lammes Blut

Hat uns den Sieg erkaufet!

Und unsrer Brüder Schaar

Ging nach ihm in den Tod!

Und gab ihr Leben hin

Und achtete es nicht,

Und gaben's für die Brüder!


Chor.


Ueberwunden! überwunden

Durch des Lammes Blut!

Durch der Brüder Blut!

Sie haben ihr Leben nicht geliebet

Bis in den Tod!


Choral 3.


Ein starker Trost ist unser Gott

Im letzten Todeskampfe,

Wenn Satan dann noch Flammenblick

In meine Seele schießet!

Die längst schon schlummerten,

Die Sünden wachen auf;

Wie Nattern stechen sie,

Das bange Herz verzagt –

Dann wird mein Gott mich trösten!


Chor.


Jauchzet, Ihr Himmel! Und Du, Erde, frohlocke!

Der Herr ist König in Ewigkeit!


Quelle:
Johann Gottfried Herder: Werke. Erster Theil. Gedichte, Berlin 1879, S. 524-527.
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