7. Seliges Ende

[504] In dem Vogel-Messingkäficht,

Welcher hing am Fensterkreuze,

Draußen in der Öd', im Nachtsturm,

Schwindelnd hoch ob Micromonas

Quaderhartem Straßenpflaster,

In dem fürchterlichen Käficht

Stand am Rande vor dem Abgrund

Noch der Held, Don Tulifäntchen.

Sprach: »Ein unerschrockner Tod

Sühnt die Schande dieses Tages.

Nicht geziemt's, das Haupt umrauscht

Von dem Flügelschlag der Kere,

Wild zu prahlen in die Lüfte,

Aber sagen darf ich kühnlich:

Ich bin größer, als mein Leib!

Heilen durch das letzte Mittel

Wir die Wunden unsrer Ehre!

So empfang, du grause Tiefe,

Mein zerschmettertes Gebein!«

Sprach's und sprang und stürzt' und stürzte,

Luftumpfiffen, tiefer, tiefer,

Gräßlichhaltlos! Schwindeltot!


Aber mit der ganzen Fabel

War die silberblüh'nde Wolke

Just darunter angelangt.

Tulifäntchen stürzt' und stürzte

Auf den schwanenweichsten Schoß

In die seidenzärtsten Arme.

Und aus Nacht zu sel'gem Schrecken

Seine Wimpern öffnend, sah er[504]

Um sich, über sich, empor

Nur in Fee Libellens Augen,

Nur in Rosalindchens süße,

Kleine, himmeltrunkne Äuglein.


Fee Libelle herzt' ihn, drückt' ihn,

Und das Bräutlein küßt' ihn zärtlich.

Rief der Held: »Wo bin ich? Wonne!«

»Bei den Deinen!« sprach die Fee,

»Bei den Deinen!« sprach das Bräutlein,

»Bei den Deinen!« riefen alle

Glüh'nde Exzellenzen, alle

Gnomenpägelein, es riefen's

Alle liebliche Libellen,

Die Kapelle musizierte.

Und das schwirrt' und klang und glühte,

Und das jauchzt' und tanzt' und schwärmte,

Daß nun auch den Kopf verlor,

Daß nun auch zu schwärmen anfing

Die jüngst so verständ'ge Wolke.

Plötzlich kam ihr in den Sinn,

Sich zum Palast zu verwandeln.

Auseinanderfließend zog

Sie vier Mauern im Gevierte,

Schlanke Säulen sproßten auf,

Zierlich Schnörkelwerk von Dunst

Kräuselt' an den Kapitälen.

Blaues Dach darüber hin

Ragt' in Winkeln, mondbeglänzet,

Auf des Windes Rücken stand

Blank und schlank der Hochzeitpalast.


Und im Innern des Palastes

War bereits die ganze Fabel.

Wie aus weiter Ferne, leis'

Rief die zarte Fee Libelle:

»Fort, nach Ginnistan! Der Held

Hat vollendet auf der Erde.[505]

Uns gehört er. Ewge Jugend

Kostet er nun in dem schönen,

Traumessel'gen, grünen, tiefen,

Wunderblüh'nden Reich der Geister!«


Auf des Windes Rücken schwebte

Jetzt empor der Wolkenpalast,

Prachtverklärt! Er schwebt' und schwebte,

Bis er schwand zum hellen Punkt,

Bis er schwand in den Azur.


Nicht auf Erden mehr gesehn

Ward der Held, Don Tulifäntchen.


Quelle:
Karl Immermann: Werke. Herausgegeben von Benno von Wiese, Band 1, Frankfurt a.M., Wiesbaden 1971–1977, S. 504-506.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Tulifäntchen
Tulifäntchen
Tulifäntchen: Ein Heldengedicht in Drei Gesängen (German Edition)

Buchempfehlung

Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich

Deutsche Lieder aus der Schweiz

Deutsche Lieder aus der Schweiz

»In der jetzigen Zeit, nicht der Völkerwanderung nach Außen, sondern der Völkerregungen nach Innen, wo Welttheile einander bewegen und ein Land um das andre zum Vaterlande reift, wird auch der Dichter mit fortgezogen und wenigstens das Herz will mit schlagen helfen. Wahrlich! man kann nicht anders, und ich achte keinen Mann, der sich jetzo blos der Kunst zuwendet, ohne die Kunst selbst gegen die Zeit zu kehren.« schreibt Jean Paul in dem der Ausgabe vorangestellten Motto. Eines der rund einhundert Lieder, die Hoffmann von Fallersleben 1843 anonym herausgibt, wird zur deutschen Nationalhymne werden.

90 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon