3. Hannchen

[7] Ungezählter Namen Menge

Schmückt die feurigen Gesänge,

Die der Dichter Zärtlichkeit

Ihrer Schönen Reizung weiht.


Der besingt die kluge Doris,

Jener die geputzte Chloris,

Und des Dritten treuer Sinn

Sehnt sich nach Kallisten hin.


Henriette, Christiane,

Wilhelmine, Mariane,

Leonore, Margaris,

Sind der Ewigkeit gewiß.
[7]

Phyllis, Iris und Selinden...

Doch wer kann ein Ende finden,

Wo der Dichter Schöpfungskraft

Namen, wie die Schönen, schafft?


Unbemüht, sie durchzuzählen,

Werd' ich einen Namen wählen,

Den von Reiz und Schönheit voll

Stets mein Lied erheben soll.


Was man liebenswerth erkennet,

Nennt man, wenn man Hannchen nennet.

Wie viel Schönes nennt der nicht,

Der nur Hannchens Namen spricht?


Seht, wenn sich die bunten Mengen

Sonntags aus den Kirchen drängen,

Gebt auf unsrer Fenster Pracht

Mit erhabnen Blicken Acht:


Tausend müßt ihr reizend finden,

Tausend müssen euch entzünden,

Und der Hannchen nur allein

Mehr, als Aller sonsten seyn.


Unbemüht, sie durchzuzählen,

Werd' ich nur ein Hannchen wählen;

Dessen Reiz, der mich vergnügt,

Aller Hannchen Reiz besiegt.


Quelle:
Abraham Gotthelf Kästner: Gesammelte poetische und prosaische schönwissenschaftliche Werke, Theil 1 und 2, Teil 2, Berlin 1841, S. 7-8.
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