Das tote Glück

[25] Leis umrauscht von Himmelsquellen,

Süße Sehnsucht in der Brust,

Saß ich einst die mondeshellen

Nächte da in stiller Lust.


Jene Zeit wird nicht mehr kommen;

Himmelsquellen sind versiegt,

Und die Sehnsucht ist verglommen,

Und mein Glück im Grabe liegt.[25]


Weib, du riefst in böser Stunde

Mit dem zauberischen Blick,

Mit dem wonnereichen Munde

Schmeichelnd hin zu dir mein Glück.


Und es kam, ein Kind, und schmiegte

Flehend sich in deinen Arm,

Der es mild umschlang und wiegte,

Als ein weicher Mutterarm.


Nun das Kind in Traumeswonnen,

Hingeschlummert, sich verlor,

Nahmst du still und kaltbesonnen

Deinen Todesdolch hervor.


Scharf geschliffen am Gesteine

Deines Herzens war der Stahl,

Und das Kind, um das ich weine,

Atmete zum letztenmal.


Und du stießest leicht und munter,

Wie ein Steinchen in den Bach,

In das Grab mein Glück hinunter,

Sahst ihm ruhig, lächelnd nach.

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 25-26.
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