Am Rhein

[270] Wir reisten zusammen mit andern

Zu Schiff hinunter den Rhein,

Es war ein seliges Wandern;

Doch waren wir selten allein.


Sie traten heran, zu lauschen,

Du ließest nur hier und dort

Mir fallen unter das Rauschen

Des Stroms ein heimliches Wort.


Ich sprach: Bald trennt uns die Reise!

Ob hier wir uns wiedersehn?

»Dort vielleicht einst!« sagtest du leise,

Ich konnte dich kaum verstehn.


Wir flogen vorüber am Strande,

Der Dampf durchbrauste den Schlot,

Wie ein zorniger Neger die Bande

Wildschnaubend zu sprengen droht.


Und sie begannen zu preisen,

Wie schnell man sich heute bewegt,

Und wie das rührige Eisen

Man über die Straßen legt;


Als wollten zu Grabe sie tragen

Des Elends türmenden Wust

Und wieder das Eden erjagen,

Den uralt bittern Verlust.


Es hat doch den rechten Fergen

Das Schifflein lange noch nicht,

Solange noch Liebe verbergen

Sich muß wie ein Sündergesicht,[270]


Noch lange nicht hat, ihr Gesellen,

Das Eisen den rechten Guß,

Wenn sich die Liebe bestellen

Noch hinter die Gräber muß!


So dacht ich und blickte verdrossen

Hinab in die rollende Flut;

Dich umringten deine Genossen

Und scherzten; die hatten es gut.


Die Nacht war dunkelnd gekommen,

Da stiegen am Strande wir aus,

Ich folgte dir stumm und beklommen

Von ferne bis an dem Haus.


Und als du, noch einmal nickend,

Verschwunden im schließenden Tor,

Stand ich eine Weile noch, blickend

Nach deinem Fenster empor.


Ich schied von deinem Quartiere

Und ging hinüber in meins,

Das lag im fernen Reviere

Am andern Ufer des Rheins.


Ich betrat mein trauriges Zimmer

Und starrte unverwandt

Hinüber zum Kerzenschimmer,

Den mir dein Fenster gesandt.


Die Lichter drüben am Strande

Erloschen nach und nach,

Doch wie zu traulichem Pfände

Blieb deines immer noch wach.


Wie ich im einsamen Leide

Hinstarrte über die Flut:

Als wären gestorben wir beide,

Ward mir mit einmal zumut;[271]


Als trennten uns weite Welten,

Ward mir mit einem Mal,

Den Erdengram zu vergelten

Mit ewiger Sehnsucht Qual;


Als blinkte dein Lichtlein so ferne

In meine Finsternis

Von einem entlegenen Sterne,

Der dich mir auf immer entriß.


Mir spielten, wie Tränendiebe,

Nachtwinde ums Augenlid,

Wie der Geist unglücklicher Liebe,

Der über die Erde zieht.

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 270-272.
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