41.
Der verlorne Augenblick, die verlorne Seeligkeit

[128] Eine Predigt über den Text: die Malzeit war bereitet, aber die Gäste waren ihrer nicht werth.


Von nun an die Sonne in Trauer,

Von nun an finster der Tag,

Des Himmels Thore verschlossen!

Wer ist der wieder eröffnen

Mir wieder entschließen sie mag?

Hier ausgesperret, verloren,

Sitzt der Verworfne und weint,

Und kennt im Himmel, auf Erden

Gehäßiger nichts als sich selber,

Und ist im Himmel, auf Erden

Sein unversöhnlichster Feind.


Aufgiengen die Thore,

Ich sah die Erscheinung.

Und war's kein Traum?

Und war's so fremd mir? –

Die Tochter, die Freude,

Der Segen des Himmels,

In weißen Gewölken

Mit Rosen umschattet,

Duftete sie hinüber zu mir.

In Liebe hingesunken,

Wie schrecklich in Reizen geschmückt,

Schon hatt' ich so selig, so trunken

Fest an mein Herz sie gedrückt.[129]

Ich lag im Geist ihr zu Füßen,

Mein Mund schwebt' über ihr –

Ach! diese Lippen zu küssen

Und dann mit ewiger Müh

Den süßen Frevel zu büßen! –


In dem einzigen Augenblick,

Große Götter! was hielt mich zurück?


Kommt er nicht wieder? –

Er kehrt nicht wieder,

Ach er ist hin, der Augenblick

Und der Tod mein einziges Glück! –


Daß er käme! –

Mit bebender Seele

Wollt' ich ihn faßen,

Wollte mit Angst ihn

Und mit Entzücken

Halten ihn, halten

Und ihn nicht laßen,

Und drohte die Erde mir

Unter mir zu brechen,

Und drohte der Himmel mir,

Die Kühnheit zu rächen –

Ich hielte, ich faßte dich,

Heilige, Einzige,

Mit all deiner Wonne,

Mit all deinem Schmerz!

Presst' an den Busen dich,

Sättigte einmal mich –

Wähnte du wärst für mich –

Und in dem Wonnerausch,

In den Entzückungen,

Bräche mein Herz!

Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Gedichte, Berlin 1891, S. 128-130.
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