10. Auff Herrn Johann Seylers Hochzeit

[37] Die Sonn' hat sich verkrochen,

Der Tag ist gantz dahin,

Der Mond' ist angebrochen,

Die Arbeit-Trösterin,

Die Nacht, hat angeleget

Ihr schwartzes Trauerkleyd,

Kein Graß ist, das sich reget,

Kein Baum nicht weit und breit.


Die Welt ist schon zu Bette,

Und hat die Augen zu,

Wir schlaffen in die Wette,

Das Meer liegt auch in Ruh;

Nur zweene Geister wachen,

Der Krieg- und Liebesgott

Bestellen ihre Sachen

In dem wir sind als tod.


Wann uns gar sanffte träumet,

Und alle sicher seyn,

Ihr keiner, derer säumet,

Nimpt seine Schantzen ein.

Soldaten die verlangen

Nach Blute für und für;

Der Buhler ligt gefangen

Für seiner Liebsten Thür.


Mars muß sein Läger schlagen

Hier unters grosse Dach,

Auch Hitz' und Kält' ertragen,

Trinckt offtmals auß der Bach;

So muß sich auch gewehnen

Ein Buhler, lescht vor Wein

Mit vielen heissen Threnen

Den Durst der Liebespein.
[37]

Man sieht zu jedermalen

Bey Nachte heller seyn

Deß Feuers liechte Strahlen,

Als bey der Sonnen Schein;

Auch damals legt die Liebe

Dem Feuer besser zu,

Wann alles gleich ist trübe

Und kränckt uns ohne Ruh.


So wird auch sonst gelesen,

Daß Venus bey der Nacht

Deß Kindes sey genesen

Und es zur Welt gebracht.

Drumb wil sie, daß in gleichen

Der, welcher lieben wil,

Bey stiller Nacht soll streichen

Auff sein gewündschtes Ziel.


Herr Seyler, dieser Sachen

Seyd ihr nun gantz befreyt;

Ihr dörfft alleine wachen

Nach Lust und Fröligkeit

Und fahrt in guten Stande

Am sichern Hafen an.

Wol dem, der so zu Lande

Mit Glücke kommen kan.

Quelle:
Martin Opitz: Weltliche und geistliche Dichtung, Berlin und Stuttgart [1889], S. 37-38.
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