Der Rubin

An den Freyherrn von Salis Sevis.


In jenem zweyten Babylon,

Wo ein gekrönter Kannibale

Zu seiner Schwester Hochzeitmahle

Die besten seiner Nation

Geschlachtet hat, und, o der Schande!

Nicht auch für seines Frevels Lohn

Der Menschheit und dem Vaterlande

Geschlachtet ward auf seinem Thron:

In jenem zweyten Babylon,

Wo Frankreichs Vater und Befreyer,

Weil er den Weg ins Paradies

Der Wahl des Herzens überließ,

Ein orthodoxes Ungeheuer

Den Mordstahl in den Busen stieß,

Und wo sein Enkel, den der Heuchler

Und der Poet den Großen hieß,

Gereitzt durch infulirte Schmeichler

Und Loyolas Hyänenbrut

Der Ketzer neues Reich zerstörte[107]

Und freylich nicht durch Schwerdt noch Glut,

Blos durch Dragoner sie bekehrte:

In dieser stolzen Königsstadt,

Die für den Weisen und den Thoren

So manche schöne Seite hat,

Hier lebst du, Freund! in dich verlohren,

Der Weisheit und den Musen treu

Und, wie die Mutter dich gebohren,

So gut, so heiter und so frey.

Ja frey, des großen Königs Krone

Verblendete dein Auge nie;

Du stehest zwar vor seinem Throne,

Allein mit ungebognem Knie.

Du leihst, gleich deinen tapfern Ahnen,

Ihm deinen Arm, allein wie sie

Reift unter des Monarchen Fahnen

Blos für die Republik der Held,

Und ruft die gellende Trompete

Dich aus der Hofburg in das Feld,

So nimmst du nebst dem Schwerdt die Flöte,

Wie Vater Kleist, mit in dein Zelt.

Und trägt dich dein getreuer Schimmel

In deiner Alpen Schoos zurück,

So singst du, fern vom Kriegsgetümmel,

Wie er, doch unter freyerm Himmel,[108]

Des Frühlings Pracht, des Landmanns Glück.

O selig, Freund, wem sein Geschick

Das göttliche Talent beschieden,

Sich selber stets genug zu seyn!

Nichts störet seinen innern Frieden,

Nichts trübet seinen Sonnenschein.

Auch mitten unter Legionen

Ist er, so oft er will, allein;

Und schlöß ihn, gleich den Robinsonen,

Ein unbewohntes Eyland ein,

So schüf er Menschen, trotz dem Greise

Deukalion, aus jedem Stein.

O wahrlich, Freund, der stille Weise

Ist auf der weiten Gottesflur

Die schönste Blume. Seine Seele

Empfängt nur von sich selbst Befehle

Und sie gebietet der Natur.

Dies hat der Perser Schach Iskender

Von einem heiligen Kalender

In einer Wildniß einst gelernt.

Entführt von seinem scheuen Pferde,

Das ihn von eines Rehbocks Fährte

Und seinem Jagdgesind entfernt,

Fand er den Mönch, der auf der Erde

Im Schatten saß; in seiner Hand[109]

Hielt er ein Häufchen rothen Sand.

»Was machst du Alter?« Herr, Rubinen

Versetzt der Greis mit heitern Mienen.

»Rubinen! faselst du? Laß sehn.«

Er stieg vom Pferd. Der Alte hauchte

In seine Faust. Der Sand verrauchte

Und ein Rubin so groß, so schön

Als keiner in des Herrschers Krone,

Blieb in der offnen Hand zurück.

Iskender staunt. Sein irrer Blick

Klebt bald auf dem verkannten Sohne

Des Hermes, bald auf dem Rubin.

O, gieb mir, bat der Weltbezwinger

Zuletzt den Siedler, gieb mir ihn.

Ich trag ihn bis ins Grab am Finger

Als deiner Wundergabe Pfand.

Der Siedler reicht dem hohen Gaste

Die Gemme. Doch der König faßte

Statt des Rubins ein Klümpchen Sand.

Der Sultan knirscht und greift zum Säbel,

Doch schnell umwölkt ein schwarzer Nebel

Sein wildes Aug, indeß der Wald

Von dem Orakel wiederhallt:

»Was Staub ist für gemeine Seelen

Wird für den Weisen zu Juwelen.«

Quelle:
Gottlieb Konrad Pfeffel: Poetische Versuche, Erster bis Dritter Theil, Band 3, Tübingen 1802, S. 105-110.
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