Ursprung St. Johannis segen

[287] In der glasweis Hans Vogels.


18. october 1549.


1.

Zu Mainz ein reicher bürger saße,

der doch entlich von seinem gut

kam in große armut,[287]

des fiel er in groß sorg und schame,

Rulos sein herz verzweifeln wase,

ging hinaus in ein finstern walt

und ruft dem teufel balt,

der in menschlicher gstalt dar kame,

Dem er sich ganz ergabe,

sprach: »gibstu mir zwelf ganzer jar

golts gnug und reicher habe,

so wil ich mich dan stellen dar.«

der bund also verschriben war.

der teufel sprach: »ge hin mit schnauden,

grab ein unter der holderstauden

daheimen in dem garten dein,

so findst ein schatz allein,

von dem zehr du in meinem namen.«


2.

So tet sich der man leids ergetzen

reichlich bis in das zwelfte jar;

am letzten tag er war

alle sein freunt zu gaste laden,

Do wolt sich mit in allen letzen,

sprach: »ich iß fort mit euch nicht mer!«

der wort erschrakens ser;

ieder ging heim und tet im gnaden.

Sein junge tochter fraget:

»lieber vatter, wa wiltu hin?«

mit trauren er ir saget:

»nun wiß, das ich des teufels bin!«

die tochter mit betrübtem sin

sprach: »trink vor sant Johannis segen,

das er dich beschütz unterwegen.«

da tet ein trunk der vatter alt

und gieng hin in den walt,

zu nemen von dem teufel schaden.
[288]

3.

Do er nun hin kam in den walde,

sprach der teufel: »der deinen sel

kan ich tun keine quel

von dises kleinen trünkleins wegen;

So wil ich doch deim leichnam alde

hie lonen«; und nam in beim har

und in zerkratzet gar,

das er für halb tot ist gelegen,

Blutrünstig, bleich und gelber.

darnach stund er auf und heimging;

als er kam zu im selber,

erzelt er iederman die ding.

der pabst Pelagius anfing,

das man segnen solte den weine

an sant Johannis tag alleine,

das iederman den segen trank.

also name zu dank

ein anfang sant Johannis segen.

Quelle:
Hans Sachs: Dichtungen. Erster Theil: Geistliche und weltliche Lieder, Leipzig 1870, S. 287-289.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Lohenstein, Daniel Casper von

Sophonisbe. Trauerspiel

Sophonisbe. Trauerspiel

Im zweiten Punischen Krieg gerät Syphax, der König von Numidien, in Gefangenschaft. Sophonisbe, seine Frau, ist bereit sein Leben für das Reich zu opfern und bietet den heidnischen Göttern sogar ihre Söhne als Blutopfer an.

178 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon