Sankt Georgs Ritter

[155] 1.

Hell erklingen die Trommeten

Vor Sankt Stephan von Gormas,

Wo Fernandes von Kastilien

Lager hält, der tapfre Graf.

Almansor, der Mohrenkönig,

Kommt mit großer Heeresmacht

Von Kordova hergezogen,

Zu erstürmen jene Stadt.

Schon gewappnet sitzt zu Pferde

Die kastil'sche Ritterschar;

Forschend reitet durch die Reihen

Fernandes, der tapfre Graf:

»Paskal Vivas! Paskal Vivas![155]

Preis kastil'scher Ritterschaft!

Alle Ritter sind gerüstet,

Du nur fehlest auf dem Platz.

Du, der erste sonst zu Rosse,

Sonst der erste zu der Schlacht,

Hörst du heute nicht mein Rufen,

Nicht der Schlachttrommeten Klang?

Fehlest du dem Christenheere

Heut, an diesem heißen Tag?

Soll dein Ehrenkranz verwelken,

Schwinden deines Ruhmes Glanz?«

Paskal Vivas kann nicht hören,

Fern ist er im tiefen Wald,

Wo auf einem grünen Hügel

Sankt Georgs Kapelle ragt.

An der Pforte steht sein Roß,

Lehnet Speer und Stahlgewand,

Und der Ritter knieet betend

Vor dem heiligen Altar;

Ist in Andacht ganz versunken,

Höret nicht den Lärm der Schlacht,

Der nur dumpf wie Windestosen

Durch das Waldgebirge hallt;

Hört nicht seines Rosses Wiehern,

Seiner Waffen dumpfen Klang.

Doch es wachet sein Patron,

Sankt Georg, der Treue, wacht;

Aus der Wolke steigt er nieder,

Legt des Ritters Waffen an,

Setzt sich auf das Pferd des Ritters,

Fleugt hinunter in die Schlacht.

Keiner hat wie er gestürmet,

Held des Himmels, Wetterstrahl;

Er gewinnt Almansors Fahne,

Und es flieht die Mohrenschar.

Paskal Vivas hat beschlossen

Seine Andacht am Altar,

Tritt aus Sankt Georgs Kapelle,

Findet Roß und Stahlgewand;

Reitet sinnend nach dem Lager,

Weiß nicht, was es heißen mag,[156]

Daß Trommeten ihn begrüßen

Und der festliche Gesang:

»Paskal Vivas! Paskal Vivas!

Stolz kastil'scher Ritterschaft!

Sei gepriesen, hoher Sieger,

Der Almansors Fahne nahm!

Wie sind deine Waffen blutig,

Wie zermalmt von Stoß und Schlag!

Wie bedeckt dein Roß mit Wunden,

Das so mutig eingerannt!«

Paskal Vivas wehrt vergebens

Ihrem Jubel und Gesang,

Neiget demutsvoll sein Haupt,

Deutet schweigend himmelan.


2.

In den abendlichen Gärten

Ging die Gräfin Julia.

Fatiman, Almansors Neffe,

Hat die Schöne dort erhascht;

Flieht mit seiner süßen Beute

Durch die Wälder Nacht und Tag,

Zehn getreue Mohrenritter

Folgen ihm gewappnet nach.

In des dritten Morgens Frühe

Kommen sie in jenen Wald,

Wo auf einem grünen Hügel

Sankt Georgs Kapelle ragt.

Schon von weitem blickt die Gräfin

Nach des Heil'gen Bild hinan,

Welches ob der Kirchenpforte,

Groß in Stein gehauen, prangt:

Wie er in des Lindwurms Rachen

Mächtig sticht den heil'gen Schaft,

Während, an den Fels gebunden,

Bang die Königstochter harrt.

Weinend und die Hände ringend

Ruft die Gräfin Julia:

»Sankt Georg, du heil'ger Streiter,

Hilf mir aus des Drachen Macht!«

Siehe! wer auf weißem Rosse[157]

Sprengt von der Kapell herab?

Goldne Locken wehn im Winde,

Und der rote Mantel wallt.

Mächtig ist sein Speer geschwungen,

Trifft den Räuber Fatiman,

Der sich gleich am Boden krümmet,

Wie der Lindwurm einst getan.

Und die zehen Mohrenritter

Hat ein wilder Schreck gefaßt;

Schild und Lanze weggeworfen,

Fliehn sie über Berg und Tal.

Auf den Knieen, wie geblendet,

Liegt die Gräfin Julia:

»Sankt Georg, du heil'ger Streiter,

Sei gepriesen tausendmal!«

Als sie wieder hebt die Augen,

Ist der Heil'ge nicht mehr da,

Und es geht nur dumpfe Sage,

Daß es Paskal Vivas war.


Quelle:
Ludwig Uhland: Werke. Band 1, München 1980, S. 155-158.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte (Ausgabe letzter Hand)
Gedichte und Reden

Buchempfehlung

Diderot, Denis

Die Nonne. Sittenroman aus dem 18. Jahrhundert

Die Nonne. Sittenroman aus dem 18. Jahrhundert

Im Jahre 1758 kämpft die Nonne Marguerite Delamarre in einem aufsehenerregenden Prozeß um die Aufhebung ihres Gelübdes. Diderot und sein Freund Friedrich Melchior Grimm sind von dem Vorgang fasziniert und fingieren einen Brief der vermeintlich geflohenen Nonne an ihren gemeinsamen Freund, den Marquis de Croismare, in dem sie ihn um Hilfe bittet. Aus dem makaberen Scherz entsteht 1760 Diderots Roman "La religieuse", den er zu Lebzeiten allerdings nicht veröffentlicht. Erst nach einer 1792 anonym erschienenen Übersetzung ins Deutsche erscheint 1796 der Text im französischen Original, zwölf Jahre nach Diderots Tod. Die zeitgenössische Rezeption war erwartungsgemäß turbulent. Noch in Meyers Konversations-Lexikon von 1906 wird der "Naturalismus" des Romans als "empörend" empfunden. Die Aufführung der weitgehend werkgetreuen Verfilmung von 1966 wurde zunächst verboten.

106 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon