1. Am 18. Oktober 1815

[63] Herrn Bürgermeister Klüpfel ständischem Abgeordneten der Stadt Stuttgart


Die Schlacht der Völker ward geschlagen,

Der Fremde wich von deutscher Flur,

Doch die befreiten Lande tragen

Noch manches vor'gen Dranges Spur;

Und wie man aus versunknen Städten

Erhabne Götterbilder gräbt,

So ist manch heilig Recht zu retten,

Das unter wüsten Trümmern lebt.


Zu retten gilt's und aufzubauen,

Doch das Gedeihen bleibet fern,

Wo Liebe fehlet und Vertrauen

Und Eintracht zwischen Volk und Herrn.

Der Deutsche ehrt' in allen Zeiten

Der Fürsten heiligen Beruf,

Doch liebt er frei einherzuschreiten

Und aufrecht, wie ihn Gott erschuf.


So wirkt auch ihr im festen Bunde,

Ihr guten Hüter unsres Rechts!

Ihr bauet auf dem alten Grunde

Das Wohl des künftigen Geschlechts.

Uneingedenk gemeinen Lohnes,

Seid ihr beharrlich, emsig, treu;

Des Volkes Würde wie des Thrones

Beachtet ihr mit heil'ger Scheu.


Drum, da wir heut das Fest begehen,

Dem tausend Freudenfeuer sprühn

Und, wo sie nicht von Bergen wehen,[63]

Doch tief in allen Herzen glühn:

Was kann so edlen Schmuck gewähren

Dem Mahle, das uns hier vereint,

Als einen Mann bei uns zu ehren,

Der's so getreulich mit uns meint!


Den Mann, der, unsrer Stadt entsprossen,

Stets ihres Wohles treu gedacht,

Dem wir uns innig angeschlossen,

Der unser Teuerstes bewacht;

Der unerschüttert ausgehalten

Im Sturm der schreckensvollen Zeit

Und der auch jetzt mit kräft'gem Walten

Dem neuen Werk sein Leben weiht!


Nie kommt das Wort, ihr treuen Väter!

Dem heißen Herzensdanke gleich,

Nie spricht es aus, ihr Volksvertreter!

Wie wir so eines sind mit euch.

Als jüngst in hehren Tempelhallen

Die Menge sich mit euch erbaut,

Da sprach das Schweigen über allen

Mehr als der hellste Jubellaut.


So laß dir's, Edler, denn gefallen

Bei unsrem fröhlichen Gelag,

Und will dich düstrer Ernst umwallen,

So denk an künft'gen Festestag:

Wann jener Schlacht Gewittersegen

Sichtbar auch unser Heil erneut,

Wann sich die Saaten schwellend regen,

Die ihr im Sämond ausgestreut!


Quelle:
Ludwig Uhland: Werke. Band 1, München 1980, S. 63-64.
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