Heute morgen fuhr ich nach Düsseldorf

[266] Heute morgen fuhr ich nach Düsseldorf

In sehr honetter Begleitung:

Ein Regierungsrat – er schimpfte sehr

Auf die Neue Rheinische Zeitung.


»Die Redakteure dieses Blatts«,

So sprach er, »sind sämtlich Teufel;

Sie fürchten weder den lieben Gott

Noch den Ober-Prokurator Zweiffel.


Für alles irdische Mißgeschick

Sehn sie die einzige Heilung

In der rosenrötlichen Republik

Und vollkommener Güterteilung.


Die ganze Welt wird eingeteilt

In tausend Millionen Parzellen;

In so viel Land, in so viel Sand

Und in so viel Meereswellen.


Und alle Menschen bekommen ein Stück

Zu ihrer speziellen Erheitrung –

Die besten Brocken: die Redakteur'

Der Neuen Rheinischen Zeitung.


Auch nach Weibergemeinschaft steht ihr Sinn.

Abschaffen wolln sie die Ehe:

Daß alles in Zukunft ad libitum

Miteinander nach Bette gehe:
[266]

Tartar und Mongole mit Griechenfraun,

Cherusker mit gelben Chinesen,

Eisbären mit schwedischen Nachtigalln,

Türkinnen mit Irokesen.


Tranduftende Samojedinnen solln

Zu Briten und Römern sich betten,

Plattnasige düstre Kaffern zu

Alabasterweißen Grisetten.


Ja, ändern wird sich die ganze Welt

Durch, diese moderne Leitung –

Doch die schönsten Weiber bekommen die

Redakteure der Rheinischen Zeitung!


Auflösen wollen sie alles schier;

Oh, Lästrer sind sie und Spötter;

Kein Mensch soll in Zukunft besitzen mehr

Privateigentümliche Götter.


Die Religion wird abgeschafft,

Nicht glauben mehr soll man an Rhenus,

An den nußlaub- und rebenbekränzten, und nicht

An die Mediceische Venus.


Nicht glauben an Kastor und Pollux – nicht

An Juno und Zeus Kronion,

An Isis nicht und Osiris nicht

Und an deine Mauern, o Zion!
[267]

Ja, weder an Odin glauben noch Thor,

An Allah nicht und an Brahma –

Die Neue Rheinische Zeitung bleibt

Der einzige Dalai-Lama.«


Da schwieg der Herr Regierungsrat,

Und nicht wenig war ich verwundert:

Sie scheinen ein sehr gescheiter Mann

Für unser verrückt Jahrhundert!


Ich bin entzückt, mein werter Herr,

Von Ihrer honetten Begleitung –

Ich selber bin ein Redakteur

Von der Neuen Rheinischen Zeitung.


Oh, fahren Sie fort, so unsern Ruhm

Zu tragen durch alle Lande –

Sie sind als Mensch und Regierungsrat

Von unbeschränktem Verstande.


Oh, fahr er fort, mein guter Mann –

Ich will ihm ein Denkmal setzen

In unserm heitern Feuilleton –

Sie wissen die Ehre zu schätzen.


Ja, wahrlich, nicht jeder Gimpel bekommt

Einen Tritt von unsern Füßen –

Ich habe, mein lieber Regierungsrat,

Die Ehre, Sie höflich zu grüßen.
[268]

Quelle:
Georg Weerth: Sämtliche Werke in fünf Bänden. Band 1, Berlin 1956/57, S. 266-269.
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